DIE HEISSEN DOCH EH ALLE GLEICH, DIE WICKELMÜTZEN
"Scheich gleich Scheich": wie mit der Verwandlung von Omar Saeed Sheik in Khalid Sheik Mohammed ein neuer Haupttäter des 11.9. geschaffen wurde - Christian C. Walther, Autor des Buchs "119 Fragen zum11.9." über das Marketing von "Masterminds"
Desinformation? Wo denn? Vielleicht auf konspirologischen Websites, die jedes Gerücht und jeden Unsinn verbreiten, der ihren mindestens wahnsinnigen Urhebern in den Kram passt, und jedes Detail ausblenden und unterdrücken, das ihnen die absurde Theorie versaut. Klar, so arbeiten Konspirologen nun mal - man will doch seine Anhänger nicht verschrecken. Genauso arbeiten aber vor allem die Vorzeigekonspirologen der Mainstream-Medien – was nicht passt, wird passend gemacht. Für diese Behauptung gibt es haufenweise Beispiele, aber es würde sämtliche Stahlrahmen sprengen, wollte man wenigstens 10% der entscheidenden Weglassungen dokumentieren – nicht nur deshalb erlaube ich mir, auf Chaim Kupferbergs aufschlussreichen Essay "There´s Something About Omar" zu verweisen, auf den ich mich im Folgenden beziehe, wann immer es um Informationen aus der nicht-westlichen Presse geht.
Führen wir uns die fast perfekt choreographierte Herausgebe von wichtigen Desinformationen an einem Beispiel vor Augen, das uns Deutsche als Herbergsväter der Hauptschuldigen – Atta, Jarrah, Al-Shehhi, Binalshibh, Zammar und Khalid Sheich Mohammed – am ehesten berührt oder berühren sollte. Nennen wir dieses Fallbeispiel: „Scheich gleich Scheich – Aus Omar Saeed Sheihk mach Khalid Sheikh Mohammed".
Khalid Sheikh Mohammed ist berühmt und deshalb jedem ein Begriff – er ist seit Mitte 2002 als wichtigster „Zahlmeister" des 11. September enttarnt und veranlasste den SPIEGEL im Spätherbst 2003 zu der Feststellung, die Rätsel des 11. September seien nun, dank Khalids Aussagen, fast vollständig gelöst. Das war vermutlich der Höhepunkt des tapferen Alleingangs von Stefan Aust in Sachen „Ich bin alle drei Affen", aber wir wollen der Sache wegen annehmen, dass der SPIEGEL sich bloss in die Irre führen liess und nicht bewusst die Tatsachen verdrehte.
Zwei Wochen zuvor hatte dasselbe Blatt in einer anderen Rubrik eher unauffällig das Buch „Wer ermordete Daniel Pearl?" von Bernard-Henry Lévy empfohlen. Was in so fern von Belang ist, als Lévys Buch in der danach im SPIEGEL erscheinenden Titelgeschichte wenigstens hätte erwähnt und in den zentralen Aussagen widerlegt werden müssen. Stattdessen also titelte man „Das Geständnis" und servierte die Quintessenz: Alle Fragen sind beantwortet.
Neue Antworten sucht man im Artikel allerdings vergebens. Die Geständnisse, gleichwohl unter Folter erzwungen, brachten verblüffend wenig neue Erkenntnisse, genauer gesagt, gar keine. Polgar und Friedell hätten vermutlich getitelt „Extrablatt – sensationelle Nichtigkeiten aus aller Welt eingetroffen!"
Hätte man nicht erwarten müssen, dass nach mehreren Monaten intensiver CIA-„Befragung" auch hartgesottene Elektroschockveteranen wie Khalid und sein Kompagnon Binalshibh alles verraten würden, was sie wussten – und nicht nur das wenige, was sie schon vorher, freiwillig, im Fouda-Interview „gestanden" hatten? Skeptischer noch liess einen der Umstand werden, dass Khalid nicht wenigstens kurz und lebendig präsentiert wurde. Immerhin, es gab ein Foto, dass den dicken Mann mit seinem haarigen T-Shirt zeigte, und wir wollen für den Augenblick annehmen, dass das tatsächlich Khalid war, aufgenommen nach seiner Verhaftung im März 2003. Wie üblich gab es keine öffentliche Anhörung, mit der ebenfalls üblichen Begründung, das würde die Ermittlungen behindern respektive der „Gegenseite" helfen. Für die Öffentlichkeit war zu diesem Zeitpunkt der 11. September schon so weit in die Geschichte entrückt, dass niemand mehr Fragen stellte. Aufmerksamen Journalisten allerdings kam das Ganze durchaus merkwürdig vor.
Wir blenden zurück in den frühen Oktober 2001. Diverse amerikanische, indische und pakistanische Zeitungen berichteten schon vor den Anschlägen, erst recht aber danach, von einem Besuch des damaligen pakistanischen Geheimdienstchefs in Washington in der Woche um den 11. September. Am tragischen Dienstag traf sich General Mahmoud Ahmad, so der Name des ISI-Chefs, mit den Abgeordneten Porter Goss und Bob Graham zu einem Gespräch. Offenbar handelte es sich dabei um einen Gegenbesuch, denn in den Monaten zuvor waren Goss, Graham und CIA-Chef George Tenet in Islamabad bei Ahmad gewesen. Dass Goss und Graham später im offiziellen Untersuchungsausschuss zum 11. September sitzen würden, klingt in den Ohren von Konspirologen ein bisschen nach Bock und Gärtner, aber vermutlich haben die beiden Abgeordneten die Berufung tatsächlich nur ihrer Erfahrung mit Geheimdienst-Operationen zu verdanken. Wichtiger ist in diesem Zusammenhang etwas anderes: sehr rasch nach dem 11. September meldete die Times of India, General Mahmoud Ahmad habe durch einen Mittelsmann die Zahlung von 100.000 Dollar an Mohammed Atta veranlasst. Nach dieser Meldung wurde General Ahmad als Chef des ISI umgehend abgesetzt und verschwand von der Bildfläche. Für Interviews steht er seither nicht zur Verfügung.
So weit, so gut – ein mit den Taliban sympathisierender Pakistani-Geheimdienstchef, das kann in den besten Agentenfamilien vorkommen, aber es ist nur folgerichtig, dass man ihn nach Bekanntwerden dieser unheilvollen Connection sofort seines Amtes enthebt. Andernorts wäre man vielleicht sogar weiter gegangen und hätte den Mann vor Gericht gestellt, aber wir befinden uns nicht andernorts, sondern in Pakistan. Nehmen wir das also einfach hin. Ahmad ist suspendiert, wird nicht befragt und hat deshalb auch nichts mehr zu sagen.
Was allerdings Ahmads Mittelsmann, den Atta-Zahlmeister betraf, berichtete der Telegraph am 30. September, der Mann heisse Omar Saeed Sheikh, sei Brite und habe den Terroristen Hijacking-Techniken beigebracht. Überdies, so die Times of India am 22. Januar 2002, habe dieser Omar Saeed „100.000 Dollar an Atta überweisen". Demnach war also Omar Saeed Zahlmeister und möglicherweise auch Ausbilder der Hijacker des 11. September. Allerdings bestand zu diesem Zeitpunkt noch keine erkennbare Verbindung von Omar Saeed zu Al-Qaida, sondern lediglich eine zu General Ahmad, also dem pakistanischen Geheimdienst, der wiederum offenbar gute Verbindungen nach Washington hatte. Wie also war Omar mit Al-Qaida verbandelt – jenseits seiner Verbindung zu General Ahmad?
Einen Tag nach der Meldung der Times of India verschwand in Karatschi der amerikanische Journalist Daniel Pearl. Lange Zeit blieb unklar, mit wem genau er sich treffen wollte oder welche Spur er eigentlich verfolgte, aber nach seiner grausamen Ermordung wurde der Hauptschuldige von den pakistanischen Behörden gefasst und am 15. Juli 2002 als Mörder von Daniel Pearl zum Tode verurteilt. Der Mann heisst: Omar Saeed Sheikh. Als Inhaftierter ist auch er von der Bildfläche verschwunden und steht für Interviews leider ebenso wenig zur Verfügung wie General Ahmad. Der oben erwähnte französische Autor Bernarnd-Henry Lévy hat es versucht. Erfolglos.
Verkürzt man auf diese Weise die vielen Berichte und Spekulationen über Namen, Zahlen, Daten und Verbindungen, gelangt man zu der schlichten Erkenntnis, dass Omar Saeed Sheikh, Zahlmeister der Attentäter des 11. September, Verbindungen zum ISI hatte, und dass Daniel Pearl sterben musste, als er genau diese Verbindung entdeckte.
Was hat das alles mit Khalid Sheikh Mohammed zu tun?
Gute Frage. Nämlich nichts.
Chaim Kupferberg hat die „Ablösung" von Omar durch Khalid in seinem oben erwähnten Essay detailliert beschrieben. Omar ist in der Tat ein hässlicher Faden in der ansonsten perfekt gewobenen Legende des 11. September. Omar musste verschwinden, genauso wie General Ahmad, andernfalls hätte man äusserst unangenehme Fragen beantworten müssen.
Im Juni 2002 berichteten die grösseren US-Nachrichtensender, Khalid Sheikh Mohammed sei das „Mastermind" hinter dem 11. September gewesen. Diese Information stammte von einem nicht namentlich genannten „hochrrangigen US-Antiterror-Beamten", der wiederum dem AP-Reporter John J. Lumpkin Rede und Antwort gestanden hatte. Lumpkin legte im Juni nach, es gebe Beweise, dass Khalid sich schon 1999 mit einigen der Hijacker in Hamburg getroffen habe (was dem Prozess eine neue Wende geben dürfte, nachdem genau das ja zur Zeit widerlegt zu sein scheint). Zu diesem Zeitpunkt wurde auch gemeldet, Khalid sei der Onkel von Ramzi Yusef, dem Terroristen, der 1993 versucht hatte, die Twin Towers zu sprengen. Kaum ist Khalid, bislang allenfalls als Mitläufer auf den Schirmen der Terrorabwehr zu sehen, auf diese Weise komplett enttarnt, macht er das Naheliegende: er nimmt die Beine in die Hand und taucht unter.
Das denken SIE vielleicht. Aber auch nur, weil Sie noch alle Marmeln beisammen haben.
Khalid, der durchgeknallte Scheich, taucht nicht unter. Er tut genau das Gegenteil: er gibt ein Interview.
Als Gesprächspartner erwählt er hierzu den angesehenen Al-Djazeera Chef-Reporter Yosri Fouda – dessen Bericht unter dem Titel „Masterminds of Terror" auch auf Deutsch erschienen ist (Europa Verlag, Hamburg). Fouda trifft Khalid und Ramsi Binalshibh, den WG-Genossen von Atta und verhinderten „20sten Todespiloten", in einer Wohnung in Karatschi, Pakistan. Pakistan? Wir behalten den Ort des Treffens im Hinterkopf, für später.
Die beiden Terroristen bekennen sich zur Tat, gestehen, dass Osama bin Laden dahintersteckt und geben weiterhin zu Protokoll, dass die Anschläge von Hamburg aus geplant und koordiniert wurde. Fouda zeichnet alles auf. Leider gehen die Videobänder verloren, und die Audiotapes sind von schlechter Qualität, aber das macht nichts, das tritt sich fest: der Fall ist mit den Geständnissen von Khalid und Ramsi so gut wie gelöst. Alles passt zusammen. Erinnert sich noch jemand an Omar? Who the fuck is Omar?
Etwas problematisch wird die Nachrichtenlage, als pakistanische und US-Agenten am 11. September 2002 das Terroristenhaus in Karatschi stürmen, in dem Fouda sein Interview geführt hatte, und nach „stundenlangem" Schusswechsel Ramsi Binalshibh festnehmen. Fouda korrigierte danach seine Behauptung, er habe das Interview im Juni 2002 geführt – zuerst verlegte er das Datum in den Mai zurück, danach, dem Guardian gegenüber, auf den einundzwanzigsten April – scheinbar banale Korrekturen, die allerdings notwendig waren, um die Legende wasserdicht zu machen, anders gesagt, zu beweisen, dass Fouda nicht erst NACH der Entscheidung, Khalid und Binalshibh als Täter auf dem Markt zu werfen, seine Interviews geführt hatte, sondern schon vorher.
Aber zurück zum ersten Jahrestag des 11. September, zurück nach Pakistan, nach Karatschi. Zwei Tage nach der Ausstrahlung von Foudas Interview stürmen FBI- und ISI-Leute das Terrorhaus, erschiessen zwei Terroristen und nehmen Binalshibh sowie einige andere Personen fest. Unter diesen befinden sich auch die Frau von Khalid Sheikh Mohammed und seine beiden Söhne, 9 und 7 Jahre alt. Die Asia Times Online berichtet am 30. Oktober 2002, einer der beiden Toten sei Khalid Sheikh Mohammed gewesen – seine Witwe und die Kinder hätten die Leiche identifiziert. Da Khalid am 1. März 2003 offiziell festgenommen wird, müssen Frau und Kinder sich wohl geirrt haben.
Schon kurz vor dieser Meldung aber meldet sich die Agentur UPI mit einem echten Knaller zu Wort. Am 30. September heisst es: „Nach Aussagen von zwei CIA-Mitarbeitern war Wall-Street-Journal-Reporter Daniel Pearl auf der Spur des Mannes, der mutmasslich die Flugzeugentführungen und Angriffe des 11. September auf New York und Washington plante, als er in Pakistan entführt und ermordet wurde."
Hey! Das stimmt! Packt jetzt doch UPI aus – Pakistan, Omar, General Ahmad, Pearl?!
„Bob Baer", lesen wir weiter, früher selbst mit Spezialoperationen im Dienste der Dienste betraut, sagt, „er habe Pearl mit unveröffentlichten Informationen versorgt" – über ... na? ... „Khalid Sheikh Mohammed."
Hoppla.
Aber was ist dann mit Omar, dem Hauptverdächtigen, nein, dem als Mörder zum Tode Verurteilten im Pearl-Fall? Na ja, ähm, UPI klärt auf, es habe zwar Berichte über vier andere Männer gegeben, die von der pakistanischen Polizei ebenfalls im Zusammenhang mit Pearls Ermordung verhaftet worden seien, aber nachdem ja nun die neuen Verdächtigen vor Gericht gestellt würden, müssten auch die Verfahren gegen die vier ursprünglich Verurteilten neu aufgenommen werden, da die neuen Fakten die Anklage gegen Omar und seine Komplizen gegenstandslos werden liessen.
Perfekt. Omars Freispruch steht nunmehr nichts mehr im Wege. Entlastet in allen Anklagepunkten. Khalid war´s, und zwar gleich ALLES: Nicht nur Planer, Trainer, und Zahlmeister, sondern auch Pearl-Mörder.
Schöner kann man das kaum machen.
Und endlich wird uns auch klar, weshalb diese beiden plötzlich interviewsüchtigen Masterminds den Kollegen Fouda ausgerechnet ins verdächtige Pakistan bestellten – hätten sie ihn anderswohin beordert, nach Riad, Hawaii oder Hamburg, hätte man wohl kaum Khalid den Mord an Pearl in einem Hinterhof in Karatschi anhängen können.
So haben alle, was sie verdienen: Omar, Drahtzieher, Mörder und eine der interessantesten Figuren im Zwei-Türme-Schachspiel, ist aus dem Schneider, aus dem Bild und demnächst wieder ein freier Mann und Agent. Eine Fussnote der Geschichte des 11. September – vielleicht nicht einmal das. Khalid Scheikh Mohammed ist gefasst und hat ausgesagt, hinter verschlossenen Türen. Alle Rätsel sind gelöst. Die bekannte Verbindung ist bestätigt: Al-Qaida – Khalid und Binalshib – Hamburg – Atta – 9/11.
Pakistan? Omar? General Ahmad? Goss und Graham? ISI und CIA? Wo sollen die noch ins Bild passen?
Und so schliesst sich der Kreis – mit dem vollständig gelösten Rätsel, dem „Geständnis" und dem SPIEGEL-Fazit: „Doch bei allen Vorbehalten: War die Geschichte des 11. September bisher eine Art Puzzle, bei dem noch einige wesentliche Teile fehlten, ist das Bild jetzt, nach den Aussagen, nahezu vollständig – in einigen Bereichen sogar bis ins letzte Detail."
Ein letztes Detail: Offen bleibt – mangels öffentlicher Auftritte von Khalid – was an dem Gerücht dran ist, er sei beim Angriff auf das Terrorhaus in Pakistan gestorben. TIME behauptet am 20. Januar 2003, es habe sich um einen Irrtum gehandelt – die Fingerabdrücke beweisen, dass der Tote nicht Khalid gewesen sei. Aber was ist mit der Witwe und den Jungs? Wieso behaupten die das Gegenteil? Nur eine Propagandalüge der Asia Times? Möglich. Wäre da nicht ein Artikel vom 10. März 2003 im Sunday Telegraph, in dem Olga Craig berichtet, die beiden am 11. September 2002 bei der Erstürmung des Hauses in Karatschi aufgegriffenen jungen Söhne von Khalid Sheikh Mohammed würden von der CIA „benutzt, um ihren Vater zum Reden zu bringen". Laut Telegraph wurden die beiden Jungen am 10. März 2003 an eine geheimgehaltenen Ort in den USA verbracht, wo sie „ermutigt würden, über die Aktivitäten ihres Vaters zu sprechen." Ein – natürlich – anonymer „Beamter" ergänzt zu unserer Beruhigung: „Wir fassen sie mit Samthandschuhen an" (...) Schliesslich sind sie nur kleine Kinder, aber wir müssen so viel wie möglich über die vergangenen Aktivitäten ihres Vaters erfahren."
Grossartig. Auch das noch, vorbei am offenen Auge des Folterverhherlichungsblatts aus der Hamburger Innenstadt. Immerhin räumen die US-Behörden hiermit ein, dass sie einen 7- und einen 9jährigen Jungen festhalten. Warum? Um Khalid zum Reden zu bringen? Oder nur weil die beiden wissen, dass ihr Vater am 11. September 2002 erschossen wurde? Ähm, Amnesty? Kann sich irgend jemand darum kümmern, dass die Jungs jeden Tag eine warme Suppe kriegen, und vor allem, dass sie nicht in vier Monaten in einem Fluss landen? Und auch wenn das abschliessend nach einer ganz dämlichen und konservativen Frage klingt – denkt eigentlich auch mal einer an die Mutter? Wo ist die eigentlich geblieben? Schon bei Ihrem Gatten, also entsorgt? Oder lebenslänglich herzlich willkommen in Langley, Virginia?
Das Bild ist – bis auf ein paar hundert Millionen wichtige Details - vollständig. In der Tat.