Unter fragwürdigen Umständen wird in den USA eine Terrorgruppe rehabilitiert. Mit Mordanschlägen destabilisieren deren Mitglieder den Iran -
Von COLEEN ROWLEY, 13. Oktober 2012 -
Die US-Regierung beabsichtigt, eine gewalttätige exiliranische Gruppe – die Mojahedin-e Khalq (MEK), auch Volksmudschahedin genannt – von der US-Terrorliste zu streichen.
Damit beweist sie die Bereitschaft, ihre politische Strategie an dem Grundsatz „der Feind meines Feindes ist mein Freund" auszurichten. Das entspricht der Vorgehensweise in Afghanistan in den 1980er Jahren, als die USA Seite an Seite mit Osama Bin Laden und islamischen Extremisten kämpfte.
In dem populären Kinofilm „Der Krieg des Charly Wilson" wird der Protagonist, ein ziemlich heruntergekommener texanischer Kongressabgeordneter, zum Helden stilisiert. Ausgehend von der Auffassung „der Feind meines Feindes ist mein Freund" hilft er der CIA bei der Finanzierung der verdeckten Unterstützung der afghanischen Mudschahedin.
Nafeez Mosaddeq Ahmed, Direktor des britischen Think Tank Institute for Policy Research and Development, beschreibt in einem Artikel des New Internationalist unter dem Titel „Our Terrorists" die Situation jener Zeit: „Entsandt vom damaligen Chef des saudischen Geheimdienstes, Turki bin Faisal, gründete Osama Bin Laden in Afghanistan die Organisation Maktab al-Khidamat (MAK – auch als „Dienstbüro" bezeichnet), die sich um die Finanzierung, Anwerbung und Ausbildung der Mudschahedinkämpfer kümmerte.
Bin Laden, sein MAK und die afghanischen Mudschahedin erhielten pro Jahr insgesamt eine halbe Milliarde US-Dollar von der CIA und ungefähr dieselbe Summe von den Saudis, die durch den pakistanischen Geheimdienst Inter Services Intelligence (ISI) weitergeschleust wurde. Die anhaltende Finanzierung der al-Qaeda-Taliban-Verbindung in Afghanistan durch die USA wurde bis zum Jahr 2000 aufrechterhalten, wie aus Kongressanhörungen hervor geht.
In seiner Aussage vor dem Senats-Unterausschuss für auswärtige Beziehungen mit dem Mittleren Osten und Südasien sagte der Kongressabgeordnete Dana Rohrabacher – der unter Präsident Reagan Sonderbeauftragter im Weißen Haus war und gegenwärtig amtsältestes Mitglied im Ausschuss für Internationale Beziehungen ist –, dass ‚die verdeckte Politik der (Clinton-)Administration die Taliban an die Macht brachte und es dieser brutalen Bewegung ermöglichte, an der Macht zu bleiben'. Dies sei aus der Annahme heraus geschehen, dass ‚die Taliban dem Land eine Stabilität bringen würden, die es ermöglicht, eine Öl-Pipeline von Zentralasien durch Afghanistan hindurch bis nach Pakistan zu errichten.'" (1)
Die im kalifornischen Freemont ansässige Nichtregierungsorganisation New World Strategies Coalition, die mit ihrer Arbeit das Ansehen Afghanistans und seiner Menschen rehabilitieren möchte und grundsätzlich nichtmilitärische Problemlösungen anstrebt, beschreibt in einem Bericht vom Oktober 2012 die verdeckte Unterstützung der Mudschahedin seitens der USA folgendermaßen: „Während des Dschihads gegen die Sowjets tat sich der Westen mit islamischen Radikalen der übelsten Sorte zusammen – beide Parteien einte der Hass auf die gottlosen Kommunisten. Dieselben Leute, die einst von amerikanischen Führern während der 1980er Jahre als ‚Freiheitskämpfer' bezeichnet wurden, gelten nun in dem gegenwärtigen Krieg als extremistische Dschihadisten und Terroristen, die unmoralische Aktionen durchführen und abscheuliche Menschenrechtsverbrechen begehen, die jeder Amerikaner verurteilen sollte.
Vor dem 11. September 2001, als diese ‚Terroristen' gegen die Sowjets kämpften, waren sie noch ‚unsere Terroristen', und die von ihnen begangenen Kriegsverbrechen und Verstöße gegen die Menschenrechte schafften es selten in die Presse". (2)
Gehen wir zeitlich 30 Jahre weiter und tauschen einen Vokal aus – aus MAK wird MEK –, dann sehen wir, wie sich die Geschichte fast exakt wiederholt. Es gibt vielfältige Anzeichen dafür, dass die iranischen Volksmudschahedin (MEK), „unsere neuen Terroristen", für die Attentate auf iranische Nuklearwissenschaftler verantwortlich sind.
„Die Volksmudschahedin Irans werden von den Vereinigten Staaten seit langer Zeit als terroristisch eingestuft und beschuldigt, in den 1970er Jahren Anschläge auf US-Soldaten und Unternehmen durchgeführt zu haben und auch die Übernahme der US-Botschaft in Teheran unterstützt zu haben, bevor sie sich 1980 mit den iranischen Mullahs überworfen haben." (3)
Im vergangenen April schrieb der bekannte US-amerikanische Journalist Seymour Hersh für den New Yorker in dem Artikel „Our Men in Iran", dass MEK-Mitglieder in Nevada vom U.S. Joint Special Operation Command, einer Kommandoeinrichtung zur sogenannten militärischen Terrorismusbekämpfung, als Teil eines verdeckten Programms zum Sturz der iranischen Regierung ausgebildet worden sind. (4)
Die folgenden Zitate stammen aus der hervorragenden Analyse der ehemaligen US-Sicherheitsexperten Flynt und Hillary Mann Leverett, die den Meinungsumschwung bezüglich MEK untersucht haben: „Über die Jahre haben wir viele Male sehen müssen, in welch zynischer Weise die US-Regierung die Einstufung als Terrorgruppe manipuliert hat, Organisationen und Länder aus Gründen hinzugefügt oder entfernt hat, die wenig oder überhaupt nichts mit der eigentlichen Verwicklung in terroristische Aktivitäten zu tun haben. Gerade weil wir wissen, dass die Kriterien für die Einstufung als ‚terroristisch' völlig korrumpiert und politisiert sind, sehen wir eine solche Einstufung als eine aussagekräftige Stellungnahme der US-Außenpolitik an.
Die Obama-Regierung hat kürzlich eine wirklich fürchterliche Erklärung zur US-Politik gegenüber dem Iran abgegeben. Geheimdienstbeamte haben in diesem Jahr gegenüber renommierten Medien erklärt, dass die MEK aktiv mit dem israelischen Geheimdienst zusammenarbeitet, um iranische Nuklearwissenschaftler zu töten – iranische Beamte erheben dieselben Vorwürfe.
Seit wann entspricht die Verurteilung der Ermordung unbewaffneter Zivilisten (und in einigen Fällen auch deren Familienangehöriger) auf öffentlichen Plätzen inmitten dichtbewohnter urbaner Zentren (Teheran) nicht mehr den Standardkriterien, wie sie die US-Regierung in Bezug auf Terrorismus selbst vertritt?
Die Obama-Regierung erteilt einer Organisation, von der sie weiß, dass sie direkt an den Morden unschuldiger Menschen beteiligt ist, einen Freifahrtschein. Eines ist sicher: Sobald die MEK formell von der Terrorliste gestrichen wird – ein gesetzlich festgelegter Prozess, der einige Monate in Anspruch nimmt – wird der Kongress Gelder genehmigen, um die Volksmudschahedin als Vorreiter eines Regimewechsels in Iran zu unterstützen.
In den 1990er Jahren gab es einen ähnlichen Enthusiasmus in Bezug auf Ahmad Chalabi, einen irakischen Mathematikprofessor. Er war Politiker und Vorsitzender der Oppositionspartei Irakischer Nationalkongress, die unter den Irakern ungefähr so unpopulär war wie die MEK unter den Iranern. Chalabi lebte während der Ära Saddam Husseins mit britischem Pass im Londoner Exil und galt als Schützling des Pentagon. Die enge Verbindung wurde im Oktober 1998 mit der zur Unterzeichnung des sogenannten Iraq Liberation Act durch Präsident Bill Clinton besiegelt, einer Erklärung, die den Regimewechsel im Irak forderte und schließlich im Jahr 2003 George W. Bush den Weg zur Invasion des Irak bereitete. Die Wahrscheinlichkeit, dass es auch im Falle Irans innerhalb der nächsten Jahre zu einem ähnlichen Szenario kommt – mit noch verheerenderen Konsequenzen für das strategische und moralische Ansehen der USA – ist nun mit der Streichung der MEK von der Terrorliste stark gestiegen." (5)
Einflussnahme auf Regierungsebene
Wie öffentlich bekannt wurde, sind in den letzten Jahren Millionen US-Dollar über Frontorganisationen an Kongressabgeordnete, Washingtoner Lobbyfirmen und ehemalige hochrangige Mitarbeiter des Justizministeriums, der Heimatschutzbehörde sowie des Militärs und des Anti-Terror-Bereiches geschleust worden.
Chris McGreal, ein in Washington arbeitender investigativer Journalist des britischen Guardian, der in einer hervorragenden Recherche dem Geldfluss nachging, schreibt: „Der Wechsel der US-Politik hinsichtlich verbotener iranischer Gruppen erfolgte nach einer außergewöhnlichen Spendenkampagne. Noch vor wenigen Jahren haben die US-Behörden MEK-Aktivisten inhaftiert. Für die US-Regierung waren die Volksmudschahedin eine Terrorgruppe, auf einer Stufe mit al-Qaeda, der Hamas oder der FARC in Kolumbien. Die MEK landete 1997 auf der Liste terroristischer Gruppen. An ihren Händen klebte nicht nur amerikanisches Blut, sie hatte sich auch mit Saddam Hussein zusammengeschlossen und eine lange Liste von Bombenanschlägen im Iran zu verantworten.
Dennoch wird die Organisation von vielen Mitgliedern des Kongresses, ehemaligen Beamten des Weißen Hauses, Generälen der Armee und sogar von einem der renommiertesten US-Journalisten, Carl Bernstein (er deckte gemeinsam mit Bob Woodward die Watergate-Affäre auf), mit anderen Augen gesehen. Sie betrachten die MEK als ein Opfer der doppelzüngigen US-Politik gegenüber dem Regime in Teheran und als legitime Alternative zur islamischen Regierung Irans.
Dieser Unterschied – die MEK trotz ihres terroristischen Charakters als legitim zu betrachten – ist zum großen Teil auf eine beeindruckende Kampagne von über zwanzig iranisch-amerikanischen Organisationen zurückzuführen, die neben dem Spendensammeln vor allem einen Imagewechsel der MEK zum Inhalt hatte. Diese Gruppen haben Millionenbeträge an Mitglieder des Kongresses gespendet, Lobbygruppen in Washington bezahlt und einflussreiche Politiker und Funktionäre als Sprecher angeworben, einschließlich zweier ehemaliger CIA-Direktoren.
In einem hochsensiblen politischen Spiel haben es die MEK-Unterstützer geschafft, das Außenministerium dazu zu bringen, die Gruppe von der Liste der terroristischen Organisationen zu streichen, nachdem sie einen Gerichtsbeschluss erwirken konnten, durch den eine Entscheidung des Außenministeriums bis zum 1. Oktober erzwungen wurde. Um nicht gegen Anti-Terror-Gesetze zu verstoßen, waren die Unterstützer der MEK gezwungen, vorsichtig vorzugehen.
Noch vor wenigen Jahren haben die US-Behörden MEK-Sympathisanten inhaftiert und Vermögen der Frontorganisationen als „materielle Unterstützung für eine terroristische Organisation" beschlagnahmt. Doch jetzt rühmen Kongressmitglieder öffentlich diese Gruppe, was offenkundig ein Verstoß gegen die Anti-Terror-Gesetzgebung ist, die viele von ihnen selbst unterstützt haben. Beinahe einhundert Mitglieder des Repräsentantenhauses befürworteten eine Resolution, die von der US-Regierung verlangte, die MEK von der Terrorliste zu streichen." (6)
Der Großteil der belastenden Details dieses Vorgangs, den man normalerweise als „materielle Unterstützung des Terrorismus" einstufen würde, wird jedoch wahrscheinlich in den Akten des Finanzministeriums, die mit einem „Top-Secret"-Stempel versehen werden, begraben bleiben. Schließlich befinden sich unter den Personen, die von solchen Anti-Terror-Ermittlungen betroffen wären, über drei Dutzend hochrangige US-Funktionäre. Darunter viele ehemalige Vorgesetzte und Kumpane der gegenwärtigen Bundesermittler:
Der ehemalige Generalstaatsanwalt Michael Mukasey, der ehemalige stellvertretende Generalstaatsanwalt und Direktor der Heimatschutzbehörde Michael Chertoff, zwei ehemalige CIA-Direktoren, der ehemalige Sicherheitsberater von George W. Bush, Frances Townsend, der ehemalige Staatsanwalt und Bürgermeister New Yorks, Rudolph Giuliani, der ehemalige FBI-Direktor Louis Freeh, der ehemalige Direktor der Heimatschutzbehörde Tom Ridge, etc.
„Terrorismus"-Propaganda
Fast ununterbrochen wurde in den letzten elf Jahren die Bedrohung des nahöstlichen Terrorismus von unseren Massenmedien in zynischer Weise übertrieben und verzerrt – um uns dazu zu bringen, dumme Kriege gegen Länder wie den Irak zu unterstützen, die keinerlei Verbindung zu 9/11 hatten. Und so fällt ein Artikel der Washington Post in sonderbarer Weise aus der Reihe, in dem die Streichung der MEK von der Liste ausländischer terroristischer Organisationen als humanitäre Intervention verklärt wurde. (7)
Die Klassifizierung der MEK als terroristische Organisation durch die US-Regierung wurde in dem Artikel interessanterweise lediglich als ein „Label" (Etikett/Kennzeichnung) bezeichnet. Geht es also nur um ein „Label", wenn Michael Mukasey und drei Dutzend andere hochrangige politische Persönlichkeiten das Gesetz zur Unterstützung einer ausländischen terroristischen Organisation derart missachten und verspotten? (8)
Es gab keinerlei juristischen Prozess, in dem die Richtigkeit des „Labels", wonach es sich bei der MEK um eine terroristische Organisation handelt, bestritten wurde – bis das große Geld aus der MEK-Lobbykampagne zu fließen begann.
Die Tatsache, dass die MEK über eine solch einflussreiche Lobby verfügt, deren Tentakel bis in die politische Führung der USA reichen, und die sich mit Millionenspenden politische Anerkennung erkaufen kann, widerspricht dem Bild, das die Washington Post und andere Medien von ihr zeichnen, demzufolge es sich bei ihr um eine Gruppe armer Flüchtlinge handelt, die im Irak festsitzt und einer humanitären Intervention bedarf.
Woher bekommt diese Flüchtlingsgruppe, die seit 15 Jahren als eine „ausländische terroristische Organisation" betrachtet wird, die Millionensummen, mit denen US-Beamte und Politiker bezahlt werden? In den Medien wird zwar die Tatsache erwähnt, dass diese Zahlungen ein Verstoß gegen die US-Gesetze darstellen, aber es wird unterlassen, der Frage nachzugehen, warum Bundesermittler offensichtlich gezwungen werden, ihre Untersuchungen über Beamte, die hohe Beträge von der MEK erhielten, einzustellen.
Wenn das amerikanische Volk angesichts dieser Korruption aufwachen würde, müsste es ziemlich verwirrt darüber sein, dass teilweise dieselben politischen Entscheidungsträger, die so eifrig darauf drängten, Saddam Hussein zu stürzen, gegenwärtig eine Organisation fördern, die einst zu Saddams wichtigsten „terroristischen" Handlangern zählte.
„Charly Wilson" hat sich offenbar auf einen neuen Kriegsschauplatz begeben.
Im Original erschien der Artikel am 27. September 2012 unter dem Titel „Our (New) Terrorists" the MEK: Have We Seen This Movie Before? auf der Webseite der Hufftington Post.
Übersetzung ins Deutsche, Kürzungen und Bearbeitung: Hintergrund
Anmerkung zur Situation der MEK in der EU (Quelle Wikipedia):
Am 23. Juni 2008 wurde die MEK auf Grund eines höchstrichterlichen Beschlusses von der britischen Liste terroristischer Organisationen entfernt. Die Europäische Union hat die Volksmudschahedin am 26. Januar 2009 bei einem Treffen der EU-Außenminister in Brüssel von ihrer Liste der Terror-Organisationen gestrichen. Danach musste die EU auch das eingefrorene Vermögen der Organisation freigeben.
Die Autorin: Coleen Rowley arbeitete 24 Jahre lang als Spezialagentin und Beraterin für das FBI in Minneapolis. Im Jahr 2002 wurde sie vom TIME-Magazin zusammen mit zwei weiteren Frauen zur „Person des Jahres" gekürt. Der Grund für die Auszeichnung: Sie hatte als Whistleblowerin aufgedeckt, dass das FBI-Hauptquartier vor dem 11. September 2001 Ermittlungen gegen (mutmaßliche) al-Qaeda-Mitglieder in den USA gezielt sabotiert hatte.
Anmerkungen
(1) http://www.newint.org/features/2009/10/01/blowback-extended-version/
(2) http://newworldstrategiescoalition.org/uploads/NWSC_White_Paper_2.27.11_-_Restoring_Tribal_Balance_1__1_.pdf
(3) http://rockcenter.nbcnews.com/_news/2012/02/08/10354553-israel-teams-with-terror-group-to-kill-irans-nuclear-scientists-us-officials-tell-nbc-news
(4) http://www.newyorker.com/online/blogs/newsdesk/2012/04/mek.html
(5) http://consortiumnews.com/2012/09/21/obama-relents-on-delisting-mek/
(6) http://www.guardian.co.uk/world/2012/sep/21/iranian-exiles-lobbyists-delist-mek
Siehe auch: http://www.guardian.co.uk/world/2012/sep/21/iran-mek-group-removed-us-terrorism-list
(7) http://www.washingtonpost.com/world/national-security/us-to-remove-iran-group-from-terror-list-officials-say/2012/09/21/ecfca30c-0401-11e2-8102-ebee9c66e190_story.html
(8) http://www.huffingtonpost.com/coleen-rowley/mukasey-mek_b_1357034.html
Quelle des Originalartikels: hintergrund.de