Wie Condoleezaa Rice vergangenen Donnerstag unter Eid aussagte, handelte es sich bei den Warnungen von CIA und FBI vor einem al-Qaida-Anschlag in den USA, die dem Präsidenten am 6. August 2001 vorgelegt wurden, um rein "historisches" Material ohne irgendwelchen konkreten Hinweise. "Sie sagten uns nicht wann, sie sagten uns nicht wie, sie sagten uns nicht wo..." hatte die Sicherheitsberaterin vor der Kommission verdeutlicht - und damit unfreiwillig auch eine Parallele zu den Dossiers über die WMD des Irak gezogen. Diese sagten bekanntlich genauso wenig Konkretes aus, was die Bush-Regierung aber nicht daran hinderte, 120.000 Mann in Marsch zu setzen und das Land zu überfallen, weil sonst - wie ihr Pudel Tony Blair gebellt hatte - "in 45 Minuten" Saddams nicht vorhandene Raketen auf unseren Dächern einschlagen könnten.
Während der MASCAL-Übung Ende Oktober 2000 wurde ein Flugzeugabsturz auf das Pentagon simuliert
"Hysterisch" wäre eine sehr dezente Beschreibung für diese Reaktion. "Wahnsinnig" oder "kriminell" angesichts 10.000 ziviler Opfer im Irak wahrscheinlich angemessener - vor allem, wenn man sie mit dem lethargischen Nichtstun nach dem Erhalt der Nachricht "Osama Bin Laden entschlossen innerhalb der USA anzugreifen" vergleicht. Während die Geheimdienstdossiers über die Bedrohung durch irakische Massenvernichtungswaffen tatsächlich aus "historischem" (sowie gefälschtem und aus dem Internet zusammen kopiertem) Material bestanden, gab das Presidential Briefingam 6. August 2001 einen zeitnahen Lagebericht und verwies auf aktuelle, konkrete Ermittlungen von FBI und CIA.
Nevertheless, FBI information since that time indicates patterns of suspicious activity in this country consistent with preparations for hijackings or other types of attacks, including recent surveillance of federal buildings in New York.The FBI is conducting approximately 70 full field investigations throughout the US that it considers Bin Ladin-related. CIA and the FBI are investigating a call to our Embassy in the UAE in May saying that a group of Bin Ladin supporters was in the US planning attacks with explosives.
Rice hatte vor dem Ausschuss beteuert, dass man daraus "wegen fehlender Details keine Schlussfolgerungen zur Abwehr einleiten konnte". Eine Ansicht, die sich schwer bestreiten lässt, denn Täter, Ort und Uhrzeit des Anschlags waren ja tatsächlich nicht genannt. Der Täuschungsversuch wird allerdings deutlich, wenn man diese Reaktion mit den fehlenden Details aus dem Irak - und der sofortigen Schlussfolgerung zum Angriff - vergleicht. Und er wird offensichtlich wenn man in Rechnung stellt, dass mit Bushs Amtsantritt der Antiterror-Chef des FBI, John O'Neill von der al-Qaida-Fahndung in Jemen und Saudi-Arabien abgezogen wurde (und resignierte), dass der Antiterror-Chef des Weißen Hauses, Richard Clarke (Was wusste US-Präsident Bush - und warum wollte er nichts davon wissen?), und seine Abteilung in die zweite Reihe gestuft und kaum noch gehört wurden, dass FBI-Agenten vor Ort mit ihren Dossiers über verdächtige Flugschüler und Haftbefehlwünschen von ihrer Zentrale abgewimmelt wurden und Dutzende Vorwarnungen befreundeter Nachrichtendienste kein Gehör fanden.
Ich bin zufrieden, dass ich niemals irgendwelche Geheimdiensterkenntnisse sah, die darauf hindeuteten, dass es einen Anschlag auf Amerika geben würde - zu einer Zeit, an einem Ort, ein Anschlag.
So Präsident Bush am Sonntag vor dem Kirchgang in seiner ersten Äußerung zu der Veröffentlichung des Briefings. Der Präsident sprach wieder einmal ohne Skript, sonst hätten ihm seine Berater das "I am satisfied..." sicher gestrichen, denn Zufriedenheit darüber, nicht rechtzeitig über ein anstehendes Massaker informiert worden zu sein, um es zu verhindern, kann wohl nur jemand äußern, der nur mit diesem Nicht-Wissen seine Haut retten kann.
Nachdem die Clarke-Condi-Show (Tante Ben's Schaulaufen) vor der Untersuchungskommission in Hollywoodscher Manier gelaufen ist und mit der Veröffentlichung eines zurückgehaltenen Dokuments seinen Plot gefunden hat, wendet sich der Spin der öffentlichen Debatte nun wieder dem alten Motto des "not connecting the dots" zu: den Pleiten, Pech und Pannen. In den akademischen Worten von Dr. Rice, den "systemischen Defiziten und "strukturellen Problemen", die die Geheimdienst-, Polizei- und Polit-Bürokratie daran hinderte, die Erkenntnisse über den geplanten Anschlag zusammenzutragen und darauf zu reagieren. Die nationale Sicherheitsberaterin, deren Job in eben dieser Koordination besteht, hat vor der Kommission beeidigt, dass sie sich persönlich nicht vorstellen konnte, dass Flugzeuge als Bomben benutzt werden und in Gebäude wie das WTC geflogen werden könnten. In dem jetzt veröffentlichten Dokument ist in der Tat davon nicht die Rede, sondern nur von einem möglicherweise bevorstehenden "Hijacking" von Flugzeugen zur Freipressung islamistischer Gefangener.
Doch es gibt andere Dokumente, die Condoleezza Rice und mit ihr die gesamte Regierung schwer belasten. Wenn sie von "Flugzeugen als Bomben" vor dem 11.9.2001 noch nie gehört hat, ist sie entweder des Meineids schuldig - oder absoluter Fahrlässigkeit bei der Ausübung ihres Jobs. Auch Verteidigungsminister Rumsfeld hatte vor der 9-11-Kommission bestritten, von einer konkreten Gefahr durch in Gebäude gelenkte Flugzeuge gehört zu haben. Tatsächlich zeigen aber die Bilder der MASCAL-Übung kein Modell von tollkühnen Islamisten in ihren fliegenden Kisten, sondern Modelle einer Notfall-Simulation für das Pentagon aus den Jahren 2000/2001.
MASCAL-Übung
Im Oktober 2000 hatten hauseigene Einsatzkräfte des Pentagon ein Notfallszenario durchgespielt, bei dem es galt, sich auf ein in das Gebäude gestürztes Flugzeug einzustellen. Auch das medizinische Personal trainierte einige Monate später für diesen Absturz, bei dem nicht von einer Cessna oder einem Jumbo ausgegangen wurde, sondern von einer Boeing 757. Im Mai 2001 - fünf Monate nach Rumsfelds Machtübernahme - ging es im Rahmen dieser Notfallübung darum, "das Pentagon vor einer gelenkten Ersatzrakete ("ersatz guided missile") in Form einer entführten Boeing 757" zu schützen. Wahrscheinlich ist - der Pentagon-Chef ist schließlich nicht der Hausmeister -, dass sich Rumsfeld nicht mehr erinnern kann, schließlich war er mit den Angriffsvorbereitungen auf Irak schwerst beschäftigt.
Klar aber ist - und durch Pentagon-eigene Bilder und Dokumente bewiesen -, dass die Möglichkeit terroristischer Anschläge, bei denen Flugzeuge als Bomben benutzt werden, nicht nur "vorstellbar" waren, sondern als sehr konkretes, sehr spezifisches Bedrohungsszenario galten und man sich auf entsprechende Notfallmaßnahmen exakt vorbereitet hatte. Wenn es sich dabei wirklich um "vage Drohungen" handelt, wie Rice immer wieder behauptet, warum drillt das Pentagon seine Notfallkräfte für ein solches Szenario ? Und wie kommt es, dass die nationale Sicherheitsberaterin nichts davon weiß, von welchen nationalen Sicherheitsrisiken ihr Verteidigungsministerium ausgeht und was es in seinen Fachzeitschriften darüber veröffentlicht?
Ein weiteres offizielles Dokument, das die Legende vom Überraschungsangriff des 11.9 Lügen straft, stammt aus dem "North American Air Defense Command (NORAD)", sein Titel:
SEADS CONCEPT PROPOSAL AMALGAM VIRGO 01 SCENARIOCOUNTER TERRORISM 1-2 JUNE 2001. COMBINED (JOINT) TRAINING FOR UNCONVENTIONAL THREAT
Die "unkonventionelle Drohung", von der die Luftüberwachungsbehörde ausgeht und die in diesem Szenario durchgespielt wird, besteht zwar nicht in entführten Linienmaschinen, sondern in cruise missiles, die auf inländische Ziele abgefeuert werden. Alles passt aber ansonsten ziemlich genau auf die im Pentagon durchexerzierte Anti-Terrorübung. Das Titelblatt des NORAD-Papiers zeigt niemand anderen als Osama Bin Laden - umrahmt von Bildern mit Flugzeugen. NORAD findet als Ergebnis der Übung heraus: "Wir sind nackt. Wir haben keine Möglichkeit, mit solchen Problemen umzugehen.", so der Leiter der Studie Stephen Woodall.
Die beiden für die Sicherheit des Landes zentralen Institutionen - das Verteidigungsministerium und die Luftüberwachungsbehörde - spielten also in den Monaten vor den Anschlägen bei zwei Anti-Terrorübungen Szenarien durch, die dann am 11.9. fast genauso eintreffen, doch die nationale Sicherheitsberaterin, der Präsident und der Verteidigungsminister haben von der möglichen Bedrohung noch nie im Leben gehört? Wenn die Untersuchungskommission über diesen Widerspruch nicht stolpert - und bis dato sieht nichts danach aus -, dann werden auch die offenen Fragen nach der ausbleibenden Luftabwehr und des Zeitablaufs am 11.9 , bei denen die Aktivitäten des NORAD im Mittelpunkt stehen, unter den Teppich gekehrt werden.
Am Morgen des 11.9. lief eine Notfallübung des NORAD, die auch die Radarstationen in Washington und New York involviert waren - unter dem Namen "Vigilant Guardian" wurde in diesem wargame die Abwehr eines über den Nordpol kommenden russischen Luftangriffs simuliert. Alle NORAD-Stationen, auch die in Kanada, waren im Rahmen diese Übung voll besetzt und ihre Abfangjäger in höchster Alarmbereitschaft. Umso erstaunlicher, dass es nicht möglich gewesen sein soll, diese Jäger rechtzeitig in die Luft zu bringen, als die vier Jets entführt gemeldet wurden. Hatte das einfach damit zu tun, das alle Controler Richtung Nordpol Ausschau hielten und verunsichert waren, ob es sich um echte oder um simulierte Notfälle ihres wargames handelte? Wenn dies so wäre, hätten es Osama und seine 19 nicht nur geschafft, mit Teppichmessern vier Flugzeuge unter ihre Kontrolle zu bringen, sondern auch noch eine militärische Übung zu hijacken. Wahrscheinlich hat er davon in seiner afghanischen Höhle davon erfahren und aus dem Titel der Übung "Amalgam Virgo 01" geschlossen, dass der Monat im Zeichen der Jungfrau ein gutes Datum wäre - justament waren ja auch die verstärkten Mauern in jenem der fünf Pentagonflügel fertig geworden, der bei den Attacken dann getroffen wurde. Dass genügend Zeit bleiben würde, das Ziel in großem Bogen und aller Gemütsruhe anzusteuern, war dank NORAD sichergestellt.
Dass Bin Laden und seine Bande tatsächlich so smart waren, das autonom und ohne Hilfe vor Ort zu bewerkstelligen, scheint ziemlich unwahrscheinlich - das Urheberrecht für den Terrorplot "Flugzeuge als Bomben" liegt aber mit Sicherheit nicht bei ihm: Militär und Sicherheitsbehörden die USA haben die Idee bereits vor dem 11.9. durchgespielt. Inwieweit sie auch am 11.9. fahrlässig oder freiwillig mitspielten - während die Spitzen des Staats zwei Stunden lang "business as usual" zelebrierten, ganz so, als handele es sich um eine Trockenübung -, wird zumindest noch Thema der Untersuchungskommission werden. Allerdings wohl nicht Gegenstand wirklicher Aufklärung. Sonst hätte Condi statt roter Teppiche schwedische Gardinen wegen Meineids oder grob fahrlässiger Berufsausübung zu gewärtigen - und ihre Chefs noch Schlimmeres. Deshalb muss man kein Prophet sein, um das Ergebnis der Untersuchung vorherzusagen: Es wurde alles getan, aber es ließ sich nicht verhindern. Es gab genügend Informationen, aber sie wurden nicht koordiniert. Es wurden zahlreiche Fehler gemacht, aber niemand ist verantwortlich. "Flugzeuge als Bomben?" - "Unvorstellbar!"
Quelle des Originalbeitrags: Telepolis.de
vom 14.04.2004