Vergangenheit des Vorzeige-RAF-Manns wird immer dubioser
Der 27. Juni 1993 wird vielen Menschen in Erinnerung bleiben. An diesem Tag kam es zu einer denkwürdigen Schießerei auf dem Bahnhof von Bad Kleinen in Mecklenburg- Vorpommern, bei der zwei Menschen getötet wurden: Der angebliche Terrorist Wolfgang Grams und der GSG 9-Mann Michael Newrzella.
Auch das Ehepaar Knut und Ursel Müller staunte möglicherweise nicht schlecht. Knut und Ursel Müller werden zur Prominenz der rechtsradikalen Szene gezählt. Ursel Müller ist seit 1991 Vorsitzende der Hilfsorganisation Nationaler Gefangener (HNG), die sich um aus ihrer Sicht politische Gefangene aus der rechten Szene kümmert.
Hier ein Zitat aus dem "web gegen rechts" (http://www.parlament-berlin.de/wgr/first.html): "Die 1979 gegründete HNG hatte 1998 450 Mitglieder. Im letzten Jahr konnte sie ihre Mitgliederzahl noch weiter erhöhen. Sie veröffentlicht monatlich die mit einer Auflage von 600 Stück erscheinenden Nachrichten der HNG. Vorsitzende ist seit 1991 Ursula Müller. Der HNG gehören fast alle führenden Köpfe der rechtsextremistischen Szene an. Die HNG vermittelt Anwälte für rechte politische Gefangene und auch finanzielle Hilfen für deren Angehörige. Desweiteren betreut sie Gefangene, die in der Regel nach der Haftentlassung der Organisation beitreten."
Knut und Ursel Müller staunten deshalb wahrscheinlich nicht schlecht, weil ihnen eine der beiden Leichen vom 27. Juni 1993 bekannt vorkam. Bisher dachten sie allerdings, dieser Mensch sei einer von ihnen gewesen: Wolfgang Grams. "Laut Kamerad Kurt Müller hatte Grams gerne und mit Interesse an den regelmäßigen Kameradschaftsabenden bei den Müllers in Mainz teilgenommen", schreibt die rechte Zeitschrift "Zentralorgan" (4/98). Dasselbe Blatt veröffentlichte ein Interview mit Frau Müller.
Danach kam Wolfgang Grams "an einem Dienstag zu unseren wöchentlichen Treffs, wann das genau war, weiß ich heute nicht mehr, jedenfalls vor seiner 'RAF'-Zeit." Er habe reges Interesse an den politischen Aktivitäten der Rechten gezeigt, sich aber nicht aktiv beteiligt.
Besonders in Erinnerung geblieben ist Frau Müller, daß Grams die Gruppe "immer zu Gewalttaten aufforderte und drängte." Der Kontakt mit ihm habe geendet, "weil wir uns mit seinen Gewaltideen nicht identifizieren konnten, jedenfalls nicht in der Tat."
Ob Grams ein Antifa-Spitzel oder ein Verfassungsschutz-Spitzel gewesen sei, wisse sie nicht, sagt Frau Müller weiter.
Die Frage ist, ob ein Mann wie Grams wirklich zum Vorzeige-RAF-Mann der Bundesanwaltschaft taugt: Was trieb Wolfgang Grams bei den Rechten? Stachelte er sie wirklich zu Gewalttaten an und warum? Ging es ihm nur um Gewalt, und um sonst gar nichts?
Wie kann ein Mann mit einer solchen ambivalenten politischen Identität die Energie aufbringen, in der Bundesrepublik "anspruchsvollste" linksterorristische Attentate zu begehen? Attentate, hinter denen, sollten sie wirklich politischen Einstellungen entsprungen sein, zweifellos eine enorme politische Motivation stecken muß.
Immer vorausgesetzt, die Schilderungen von Frau Müller stimmen: Dann würde Wolfgang Grams' Verhalten sehr viel besser zu einem vielseitig verwendbaren V-Mann und Provokateur irgendeines Verfassungsschutzamtes passen, als zu einer authentischen politischen Gruppierung. Eindringen in politische Gruppen und "Initiativeinbringung" zur Begehung von Anschlägen gehören zum typischen Verhalten solcher V-Leute.
Interessanterweise wimmelt es ja im Bereich der angeblichen "RAF" nur so vor lauter V-Leuten:
Der V-Mann Siegfried Nonne behauptete Anfang der 90er Jahre, die angeblichen Herrhausen-Attentäter Christoph Seidler und Andrea Klump bei sich beherbergt zu haben. Nonne widerrief diese Aussage alsbald vor den laufenden Kameras eines WDR-Fernsehteams (bestehend aus den Autoren des "RAF-Phantoms" plus der Fernsehautorin Monika Wagener) und behauptete, der Verfassungsschutz habe ihn zu der Aussage erpreßt. Christoph Seidler stellte sich später und wurde umgehend auf freien Fuß gesetzt. Andrea Klump konnte wegen keines einzigen "RAF"-Anschlages verurteilt werden.
Der V-Mann Klaus Steinmetz schaffte es angeblich, in den "Kern" der "RAF" vorzudringen und am 27. Juni 1993 die angeblichen Terroristen Wolfgang Grams und Brigit Hogefeld ans Messer zu liefern. Steinmetz' Karriere begann nicht etwa als Superermittler, sondern als Kleinkrimineller mit einem Hang zu Autohauseinbrüchen. Einer dieser Einbrüche wurde von den Behörden so sorgfältig dokumentiert, daß sich Steinmetz möglicherweise etwas leichter zu einer Zusammenarbeit mit den Behörden entschließen konnte.
(Das sind nur die wichtigsten Beispiele für V-Leute im Terrorismus-Bereich. Weitere finden sich im "RAF-Phantom".)
War dann Bad Kleinen vielleicht bloß ein Treffen unter V-Männern und vielleicht sogar V-Frauen (denn schließlich fragt sich ja, ob seine "Geliebte" Hogefeld ähnlichen Aktivitäten nachging wie Grams), aus dem die Behörden dann die Festnahme der "RAF-Kommandoebene" inszenierten?
Gut möglich. Vielleicht aber auch nicht.
Fest steht nur, daß, wenn die Schilderungen über Grams' Vergangenheit stimmen, sich die Bundesanwaltschaft einen neuen Kronzeugen für die Existenz der furchtbaren "Dritten RAF-Generation" suchen muß.