SZ-Chefenthüller tappt bei RAF-Spurensuche im Dunkeln
Eine Spurensuche in Sachen "RAF" sollte es werden, und das Publikum durfte gespannt sein, was der Chefenthüller ("Spendenaffäre") der Süddeutschen Zeitung im SZ-Magazin vom 11.5.2001 wohl an Erkenntnissen zu bieten haben würde über jene geheimnisvollen Mörder, die seit 1984 unerkannt unter dem Label "RAF" morden. Zunächst mal fällt das geradezu liebevolle Verständnis auf, das der angebliche Enthüller für die auf der ganzen Linie gescheiterten Fahnder aufbringt. Wer mit Amokläufern um die Wette renne, könne noch so tüchtig sein, am Ende müsse er doch "wegen Seitenstechens aufgeben", meint er.
Arme Kerle, diese Fahnder. Aber logisch ist das nicht. Denn Amokläufer veranstalten zwar alles Mögliche, aber daß sie besonders schnell rennen können, ist bisher noch nicht nachgewiesen worden. Leider geht es in der Argumentation von Herrn Leyendecker, der hier einen auffällig engen Schulterschluß mit dem BKA demonstriert, ähnlich schief weiter. Für einen angeblich unabhängigen Journalisten lobt Leyendecker die Beamten vom Bundeskriminalamt auf peinliche Weise in den höchsten Tönen: "Seit anderthalb Jahrzehnten mühen sich Dutzende der besten Kriminalisten, der versiertesten Staatsschützer, der gewieftesten Zielfahner, die dritte Generation der Rote Armee Fraktion (RAF) zu fassen, doch die Jagd nach den Killern führte ins Nichts."
Genau hier müßte es eigentlich bei einem zünftigen Enthüller klingeln: Was ist da los? Woher diese auffällige Unfähigkeit bei den Behörden? Schließlich wurde beispielsweise das "Superhirn" Thomas Drach, Entführer von Jan Philipp Reemtsma, bereits nach zwei Jahren gefaßt. Seine Spur hatte das BKA sogar noch wesentlich früher aufgenommen. Daß er sich in einem völlig anderen Teil der Welt verkroch, nützte ihm gar nichts. Und woran liegt das? Eben daran, daß solche Verbrechen nicht im luftleeren Raum verübt werden können: weder Entführungen noch Morde. Es gibt immer Spuren, Zeugen, Komplizen und Helfershelfer, mit deren Hilfe man schließlich auf die Fährte des Täters kommen kann - wenn man will. Von den Mördern von Siemens-Vorstand Karl Heinz Beckurts (ermordet 1986) und anderen will das BKA jedoch seit 15 Jahren nicht die leiseste Spur zu Gesicht bekommen haben. Doch bei Herrn Leyendecker klingelt gar nichts. Statt dessen sollen wir glauben, daß es irgendjemandem hierzulande gelingt, ein knappes halbes Dutzend höchster Repräsentanten des Staates und der Wirtschaft zu ermorden, ohne daß es auch nur die leiseste Hoffnung gibt, ihn zu fassen. Das perfekte Verbrechen, und zwar gleich mehrfach?
Kein Wunder, daß hier Zweifel aufkamen, ob die "RAF" diese Morde überhaupt wirklich verübt hat - jedenfalls bei anderen Journalisten kamen diese Zweifel auf. Zumal fast alle auf den Fahndungsplakaten als Mitglieder der dritten Generation Gesuchten inwischen wieder aufgetaucht sind und die Beschuldigungen gegen sie in sich zusammenbrachen.
Es ist noch nicht lange her, da ließ der Generalbundesanwalt die Fahndungsplakate abhängen. Seither wurden die alten Gesichter nicht durch neue ersetzt. Totale Kapitulation. Für einen Journalisten eigentlich ein Alarmzeichen. Doch Herrn Leyendecker scheint nur eins wichtig zu sein: Daß es die "RAF" gewesen sein soll. Daran klammern sich die angeblich so unwissenden Fahnder fest und Leyendecker hilft ihnen dabei: "Dass hinter den Morden, trotz allem Geraune (das Geraune ist 465 Seiten stark und heißt "Das RAF-Phantom" - das nur nebenbei; G.W.), die RAF steckte, haben die Täter in ihren Bekennerschreiben mit der Sorgfalt deutscher Notare selbst beurkundet."
Da darf man gespannt sein - deutsche Notare gelten schließlich als besonders gewissenhaft. Sie prüfen Identitäten sorgfältig und erkennen Unterschriften nur nach Vorlage eines Lichtbildausweises an. In Sachen "RAF" bietet Leyendecker folgende "Beweise" für die Identität der Täter an:
- Sie frankierten ihre Post immer mit Briefmarken, die Frauenmotive zeigten
- bei den fiktiven Absenderangaben war der Vorname stets abgekürzt
- die Tarnadresse hatte grundsätzlich mit Bäumen zu tun
- bei allen "Erklärungen" seit 1986 wurde nur Papier mit dem Wasserzeichen "Römerturm Klanghart" verwendet
Vorausgesetzt, das alles würde stimmen: hätte jemand mit diesen Merkmalen eine Chance, vor einem Notar einen Identitätsbeweis anzutreten? Natürlich nicht. Hätte irgendjemand anhand dieser "Beweise" eine Anklage zu vertreten, würden sich Gericht und Verteidigung kaputt lachen. Nur spaßeshalber habe ich einmal eine Druckerei nach diesem Wasserzeichen gefragt. Es wurde mir versichert, daß es „bei jedem Druckbetrieb" erhältlich ist.
Aber da war doch noch der sagenhafte "RAF"-Stern? Fehlanzeige: Selbst Leyendecker räumt ein, daß die angebliche „RAF" gleich zwei davon verwendete:
- entweder ein roter, fünfzackiger Stern mit den weißen Großbuchstaben RAF auf schwarzer Maschinenpistole
oder
- ein rot umrandeter weißer, fünfzackiger Stern mit den weißen RAF-Lettern auf dem Hintergrund einer roten Maschinenpistole.
Zwei Unterschriften also? Herr Notar, übernehmen Sie!
Bei all diesen Ausführungen ist überdies besonders interessant, was Herr Leyendecker unterschlägt. Zum Beispiel,
- daß eine "Erklärung" noch kein Bekennerbrief ist. Bei den "RAF"-Erklärungen handelt es sich vielmehr um von Anschlägen losgelöste politische Pamphlete. Wobei auch hier das Wasserzeichen,wenn es denn vorhanden sein sollte, natürlich gar nichts beweist
- daß die Bekennerbriefe selbst zum Teil nur als Fotokopie bei den Behörden eingingen - wo bleibt da das Wasserzeichen?
- daß auch der "RAF"-Stern dann nur als Fotokopie vorliegt, wie sie jeder anfertigen kann, der irgendwo in einer Zeitschrift einen RAF-Stern sieht, ausschneidet, aufklebt und fotokopiert. Wie die Täter im Fall Beckurts. Dort sieht man deutlich neben dem Stern einen Fotokopie-Schatten, wie er entsteht, wenn etwas ausgeschnitten, aufgeklebt und fotokopiert wird.
Aber selbst WENN die Täter immer dieselben, eindeutig identifizierbaren Markenzeichen verwendet hätten, - was nachweislich nicht stimmt -, und selbst wenn diese Markenzeichen eine authentische Aussagekraft hätten - was nachweislich ebenfalls nicht stimmt: Könnte man dann von einer Identifizierung der "RAF" sprechen?
Nein. Man könnte höchstens davon sprechen, daß die Täter jeweils identisch waren, daß die Taten also immer von denselben Tätern begangen wurden. Der Identität der Täter oder der Gruppe, der sie angehören, ist man damit keinen Schritt näher gekommen. Leute wie Andreas Baader oder Susanne Albrecht (verurteilt wegen des Attentates auf den Dresdner-Bank-Mann Jürgen Ponto) wußten das noch. Sie haben deshalb Papiere mit ihrem Fingerabdruck bzw. mit einer handschriftlichen Unterschrift autorisiert.
Überdies ist das ein wichtiger Bruch in Leyendeckers Argumentation: Man kann nicht behaupten, daß die Fahnder gar nichts wüßten und dann so tun, als wüßten sie aber genau, daß die "RAF" der Täter war. Entweder kann man Spuren verfolgen oder nicht. Entweder kann man ermitteln oder nicht.
Das peinlichste Kapitel in Leyendeckers Traktat kommt am Schluß: Spaltenweise widmet er sich einer kriminalistischen Nullnummer, nämlich der „forensischen Textanalyse", die behauptet, der Identität von Tätern anhand der Ausdrucksweise näherkommen zu können. Das ist längst als Scharlatanerie entlarvt. Unvergessen ist beispielsweise der Textgutachter, der einen Angeklagten anhand der falsch geschriebenen Abkürzung für „zum Beispiel", nämlich „z.b.", als Autor eines Bekennerbriefes überführen wollte. Leider war dem Gutachter nicht aufgefallen, daß er diesen Schreibfehler in seiner eigenen Expertise ebenfalls gemacht hatte.
Wer mit Scharlatanerie argumentiert, sollte vielleicht etwas zurückhaltender sein, anstatt die Arbeit von anderen Journalisten als „Unsinn" abzuqualifizieren. Warum ein so renommierter Journalist seinen guten Ruf mit einem solch substanzlosen Elaborat zur Verteidigung der deutschen Sicherheitsbehörden beschädigt, wissen wir nicht. Die Autoren des Buches "Das RAF-Phantom" haben Herrn Leyendecker schon vor Jahren ausdrücklich zum Meinungsaustausch eingeladen - ein Angebot, auf das er bis Heute aus unbekannten Gründen nicht eingegangen ist.