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TOPIC: Kommentar zu einem Artikel bei Hintergrund.de

Re: Aw: Re: Kommentar zu einem Artikel bei Hintergrund.de 08 Apr 2011 20:41 #1881

bio1 wrote:
Wo wir können sollten wir dies verhindern und in Libyen existiert die Möglichkeit.
Kann man so sehen, bio. Du meinst also Libyen ist z.Z. das Experimentierfeld? ;) Aber ist eine aktive/verdeckte milit. Einmischung das Mittel der Wahl? Oder anders gefragt: Wieviel Zeit zur Systemveränderung (auf dem diplom. und Sanktionswege) ist man bereit dem pol. Wandel einzuräumen?
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Re: Kommentar zu einem Artikel bei Hintergrund.de 10 Apr 2011 19:13 #1884

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@bio1,

den Unterschied zu Afghanistan sehe ich in Libyen eher darin, dass es sich um einen Stammeskrieg handelt.
Die Stämme, die die ganze jahre benachteiligt waren begehren jetzt auf.
Gaddafi hat hauptsächlich noch Rückhalt bei seinem eigenen Stamm, der die ganze Zeit der Nutzniesser war.

Worauf ich bei meinem letzten Beitrag eigentlich heraus wollte, ist dass ich wahrscheinlich umdenken muss.
Bisher bin ich eher davon ausgegangen, dass hier in erster Linie eingegriffen worden ist, um die Bevölkerung vor Gaddafi zu schützen.
Aber wenn ich jetzt höre, dass unsere Parteien auf einmal alle dafür sind zum Wiederaufbau Bodentruppen zu schicken, dann kommen mir erhebliche Zweifel, ob ich mich nicht geirrt habe, und es unseren Volksverdrehern nicht doch nur um die Sicherung der Ölquellen geht.

Denn was aus solchen "Hilfe" wird sieht man in Afghanistan.
Da fliesst 90% der Gelder ans Militär und nur 10% in den Wiederaufbau.
Und von Hilfe in solcher Form halte ich recht wenig.
Dabei geht es nur um die Wahrung der Handelsinteressen und nicht um Hilfe, die der Bevölkerung zu Gute kommt.

Gruss Moses
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Sebastian Range antwortete / hier veröffentlicht 10 Apr 2011 19:14 #1885

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Der Hintergrund.de Redakteur Sebastian Range antwortete mir und bat mich, seine Antwort hier zu veröffentlichen:

Vorweg: Ihrer Unterstellung, unsere Berichterstattung sei irgendeiner ideologischen Verbundenheit geschuldet, mutet schon grotesk an. Weder ist Hintergrund eine marxistische Zeitschrift (auch wenn Marxisten zu Wort kommen), noch ist Gaddafi ein Marxist, und er war auch nie einer. Das Lager der Befürworter und Gegner der Intervention läuft quer zum klassischen links/rechts-Schema.

Nun zum Thema selbst: Wir haben den Anspruch, uns bei der Berichterstattung von Fakten leiten zu lassen. Fakten können aber auch täuschen und sich als falsch herausstellen. Oder es bleiben manche verborgen und es ergibt sich eine verzerrte Wahrnehmung der Dinge. Davor ist niemand gefeit. Erst recht nicht, wenn es um einen in kurzer Zeit eskalierenden Konflikt in einem Land geht, dessen Konfliktlinien für Außenstehende verworren erscheinen und oftmals nur schwer nachzuvollziehen sind. Daraus ergibt sich auch, dass man manche Dinge im Laufe der Entwicklung entsprechend anders sieht. Gerade deshalb, weil wir uns nur schwer ein objektives Bild über die Verhältnisse vor Ort machen können, haben wir den Fokus auf die einseitige Berichterstattung der Medien gelegt und auf die Entlarvung von Interessen der kriegführenden westlichen Staaten, die nichts mit dem zu tun haben, was der Öffentlichkeit in diversen Talk-Shows vermittelt wird. Um das zu verdeutlichen zitiere ich aus einem unserer Artikel, an dem ich wesentlich mitgearbeitet habe:

„Die Heuchelei und Doppelmoral, die Propaganda und die Manipulation der Öffentlichkeit sowie
die wirklichen Interessen des Westens herauszustellen, ist keineswegs gleichbedeutend mit einer Parteinahme für Gaddafi oder mit dem Gutheißen seiner Taten und der seiner Getreuen. Es handelt sich dabei lediglich um die Einhaltung journalistischer Mindeststandards, die verlangen, der Öffentlichkeit ein möglichst objektives Bild der Lage zu vermitteln, soweit dies in chaotischen und unüberschaubaren Konflikten wie in Libyen möglich ist. Mindeststandards, die weite Teile der deutschen Medien längst über Bord geworfen haben.“ (Quelle)

Bei aller Kritik die Sie haben, sollten Sie nicht vergessen, dass dies unser Schwerpunkt ist. Niemand hat in Abrede gestellt, dass es sich im Fall Libyens um eine Diktatur handelt. Und für gewöhnlich zeichnen sich Diktaturen gerade dadurch aus, dass in ihnen die Menschenrechte verletzt werden. Seien es gewalttätige Angriffe auf Demonstrationen, Inhaftierung von Journalisten oder Repression gegenüber Angehörigen von Oppositionellen. Nur rechtfertigt das keine militärische Intervention. Und schon gar nicht durch Länder, deren Menschenrechtsweste kaum dreckiger sein könnte. Die öffentliche Rechtfertigung der Intervention speist sich aus der Behauptung, die Repressalien des Regimes würden über das „übliche“ Maß hinausgehen, wie es etwa in den anderen arabischen Diktaturen zu finden ist.

Da steht zum einen die Behauptung, Demonstrationen seien aus der Luft bombardiert worden. Fürdiese Behauptung gibt es keine Beweise. Sowohl die Aufklärung des russischen als auch des USamerikanischen Militärs, die u.a. mittels Satelliten und im Fall der USA mittels AWACSFlugzeugen erfolgt, haben keinen Beweis dafür gefunden. Auch andere bezweifeln diese
Behauptung, wie etwa der ehemalige britische Botschafter Libyens (siehe Interview auf Russia
Today). Oder etwa die Begründung Indiens zur Enthaltung bei der Verabschiedung der Resolution 1973 im Sicherheitsrat. Ich zitiere diesbezüglich aus einem unserer Artikel, der sich auf die dpa beruft:

„Wohl unter anderem auch deswegen, weil trotz Spionagesatelliten und Awacs-
Aufklärungsflugzeugen „wasserdichte Beweise für Angriffe des Gaddafi-Regimes auf die
Zivilbevölkerung“ laut dpa vom 18.03.2011 immer noch „Mangelware“ sind: „Vor allem an den
Berichten der Aufständischen über systematische Luftschläge gibt es Zweifel. Aber diese sollen maßgeblich das westliche Einschreiten rechtfertigen. „Schauen Sie sich nur mal die
Nachrichtenlage der vergangenen Tage an“, kritisiert ein hochrangiger EU-Vertreter, der seinen Namen nicht veröffentlicht sehen will. „Morgens heißt es: Dieser und jener Ort ist dem Erdboden gleichgemacht. Mittags ist dann auf einmal alles in Ordnung. […] Für großflächige Bombardements müsste es Beweise geben“, erklärt ein Experte.“ (Quelle)

Ihr Argument, dass es nur deswegen keine Beweise gebe, weil „Gaddafi ausländischen Medien den Zugang ins Land verbot[en hat] und die Berichterstattung bisher nur aus dem vom Diktator
befreiten Gebieten möglich ist“, überzeugt weder mich, noch offenbar diejenigen, die es besser als Sie oder ich wissen müssten, da sie wie oben angerissen, über die bessere Informationslage verfügen.

Zu ihrem Argument noch Folgendes: Auch in Libyen besitzen viele Menschen ein Handy, mit dem
sie Aufnahmen machen können. Hunderttausende haben das Land verlassen und davon wohl
zumeist diejenigen, die von gewalttätigen Auseinandersetzungen betroffen waren.
Unwahrscheinlich, dass ihnen allen vor der Flucht ins Ausland die Handys abgenommen wurden.
Unwahrscheinlich, dass es nicht eine dieser Aufnahmen geschafft hätte, an die Medien zu gelangen. Wenn es wie anfangs behauptet, in Tripolis zu Hunderten oder gar Tausenden Toten gekommen wäre, es hätte sich nicht verheimlichen lassen können.

Außerdem haben viele Städte im Laufe der letzten Wochen „ihren Besitzer“ gewechselt.
Journalisten hatten also genügend Gelegenheiten, in den „befreiten Gebieten“ die Folgen der
behaupteten Verbrechen, wie etwa Massengräber, zu begutachten. Und Sie können sich sicher sein, jedes dokumentierte Verbrechen solchen Ausmaßes hätten Einzug in die Nachrichten gefunden.

Die zweite Begründung für die Außergewöhnlichkeit der Diktatur, die eine Intervention rechtfertigt, liegt in de Behauptung, es würde ein Völkermord verübt. Es wird also behauptet, hier kämpften Gaddafi mit ein hartem Kern von Getreuen plus eingekauften Söldnern gegen das Libysche Volk.

Diese Behauptung wird mit nachweislich falschen Darstellungen unterfüttert. Laut einer
Untersuchung von Human Rights Watch waren keine Söldner an den Kämpfen im Osten des Landes
beteiligt. Die Sache mit den Söldnern ist offenbar weitgehend Propaganda, die den Zweck verfolgt, die Behauptung des Völkermords aufrecht erhalten zu können, um eine Intervention zu rechtfertigen. Jemand, der (s)ein Volk umbringen will, teilt an dieses keine Waffen aus, wie es Gaddafi Berichten zufolge, denen auch von der Opposition nicht widersprochen wurde, getan hat. Die Untersuchung des HRW ist natürlich kein definitiver Beweis dafür, dass es keine Söldner gibt.

Aber sie beweisen, dass Berichte über Söldner mit Vorsicht zu genießen sind.
Ich bringe noch einmal das Zitat, das Sie für besonders kritikwürdig erachten:
„Diese Bilder sprechen dagegen, dass es sich in Libyen um eine allgemeine und von der großen
Mehrheit getragene Revolution handelt. Die Teilung des Landes in von der Opposition
kontrollierte Regionen und weiterhin unter Kontrolle der Regierung stehende spiegelt die Spaltung der Gesellschaft wieder. Im erdölreichen Osten, wo die Opposition durch einen bewaffneten Aufstand – und nicht wie in Ägypten oder Tunesien durch friedliche Massenproteste – die Kontrolle übernommen hat, herrschen streng-konservative islamische Sitten vor.“

Diese Aussage hat sich als richtig erwiesen. Das Land ist gespalten, es gibt Städte und Regionen, in denen die Opposition Mehrheiten hinter sich hat, und andersherum. Wäre dem nicht so, wäre die Lage so, wie in den Medien anfangs beschrieben und wie auch von Ihnen behauptet, wäre Gaddafi nicht mehr an der Macht. Die Aufständischen sind nicht in der großen Mehrheit, dies zu leugnen grenzt schon an Realitätsverlust.

Der Unterschied zur Opposition in Tunesien oder Ägypten ist nicht nur ein quantitativer, sondern auch ein qualitativer. Dazu müssen wir uns die Opposition und ihr Handeln näher betrachten. Auch wenn dem bewaffneten Aufstand im Osten Angriffe auf friedliche Demonstranten in Tripolis vorausgingen, halte ich diesen Aufstand nicht für spontan, auch wenn sich natürlich viele spontan angeschlossen haben. Die in den letzten Tagen an die Öffentlichkeit gelangten Informationen – siehe das Überlaufen von Nouri Mesmari im Oktober – stützen die These, dass hier etwas von längerer Hand vorbereitet wurde und ich bin mir sicher, weitere Fakten werden in Zukunft folgen, die diese These erhärten. Vielleicht wird es sich auch nie wirklich aufklären lassen und so wird es dabei bleiben, dass wir hier einfach unterschiedlicher Meinung sind. Es ist aber auch letztlich nicht ausschlaggebend bezüglich der Frage, ob eine militärische Intervention von außen gerechtfertigt ist.

In Ägypten oder Tunesien griff die Opposition nicht zu den Waffen, nachdem es zu Toten bei
Demonstrationen kam. Das ist ein objektiver Unterschied, ganz gleich, ob man mit den bewaffnet Kämpfenden sympathisiert oder nicht. (Und dies ist auch keine Bewertung, welcher Weg der richtige ist, oftmals lassen sich Diktaturen nur mit Gewalt aus der Welt schaffen. Nur sollten das die Libyer selbst entscheiden und nicht Herr Sarkozy und seine Bomberstaffel). In Ägypten waren es Anhänger der Opposition, die sich zum Beispiel schützend vor Gebäude gestellt haben, um Plünderungen zu vermeiden. In Libyen waren es hingegen Oppositionelle, die geplündert haben (und ich spreche hier keineswegs nur von Munitionslagern, sondern auch von zivilen Einrichtungen). Kurz gesagt: In Ägypten hat die Opposition versucht, jedwede gewalttätige Eskalation zu vermeiden, in Libyen hingegen ist es die Opposition, die Eskalation um jeden Preis will – und daher alle Verhandlungsvorschläge abgelehnt hat. Ein weiterer Unterschied ist die zum
Teil seit Jahrzehnten bestehende Kooperation libyscher Oppositionsgruppen mit westlichen
Geheimdiensten, welche vielfach belegt ist und die ich hier nicht wiederholen will. Haben
Menschen, die auf dem Tahir-Platz demonstrierten, zuvor eine militärische Ausbildung durch
westliche Dienste im Ausland erhalten? Soweit mir bekannt, nicht. Im Fall der libyschen Opposition lässt sich das zumindest für einige Gruppen belegen. (Wahrscheinlich sollte man nicht von „der“ Opposition in Libyen sprechen, da sie nicht homogen ist. Auch scheinen Stammesrivalitäten eine wichtige Rolle zu spielen, ich kann mir aber dazu kein genaues Urteil erlauben, weil ich zu wenig über die Geschichte der libyschen Stämme und ihr Verhältnis zueinander weiß.)
Der entscheidende Unterschied liegt vielleicht im Selbstverständnis der Opposition.
Geht es den Rebellen wirklich um Demokratie und Menschenrechte? Wenn ihre Taten für sie
sprechen, dann sicherlich nicht! Massenhinrichtungen von Kriegsgefangenen, Todeslisten
politischer Gegner in Bengasi, öffentliches Lynchen von Menschen mit dunkler Hautfarbe etc. pp. Die Diktatur bleibt auch dann eine Diktatur wenn ich die Feststellung machen muss, dass noch bis vor zwei Monaten die Schwarzafrikaner in Libyen die Freiheit genossen, nicht fürchten zu müssen, aufgrund ihrer Hautfarbe öffentlich gelyncht zu werden. Auch wenn Sie es nicht verstehen können oder wollen, aber es gibt Libyer, die sich unter der Herrschaft Gaddafis freier fühlen als unter der Herrschaft des Nationalrats. Auch auf Seite der Aufständischen gibt es inzwischen zahlreich belegte Menschenrechtsverletzungen, von denen einige zunächst der libyschen Armee in die Schuhe geschoben wurden.

Ich habe den Eindruck, dass Sie darüber nur allzu geflissentlich hinweg sehen, wenn man objektiv sein will, darf man das aber nicht.

Ich sehe auch nicht darüber hinweg, welch merkwürdige Wendung die Massenmedien genommen
haben: So kam es aus den Reihen der Opposition in Libyen zu Selbstmordanschlägen. Was sonst
immer – wenn es unter den Opfern z.B. deutsche Soldaten in Afghanistan oder israelische Soldaten in Palästina trifft – in den Medien als besonders heimtückisch und verurteilenswert gilt, ist nun auf einmal völlig legitim. Auch dann, wenn „Allahu Akbar“-Rufe die ständigen Wegbegleiter der Aufständischen sind. (Wie dank Wikileaks-Dokumenten bekannt, stellt Ostlibyen die meisten Kämpfer für Al-Qaeda im Irak. Dieselben Männer gelten dort als Terroristen, sobald sie in Libyen operieren, sind es Freiheitskämpfer.) Und wo ansonsten der Einsatz von Kindersoldaten die
moralische Verkommenheit einer Kriegspartei anzeigt, geht auch das im Fall Libyens anscheinend völlig in Ordnung. In den letzten Wochen habe ich genug Bilder bewaffneter Kinder und Jugendlicher auf Seiten der Aufständischen gesehen, so dass ich nicht den Eindruck habe, dies wären nur Einzelfälle. Wer Kinder und Jugendliche in seinen Reihen bewaffnet kämpfen lässt, davon nicht wenige unter dem Einfluss von Drogen, dem unterstelle ich, keine besonderen Skrupel zu kennen. Und wenn nun einer dieser jungen Kämpfer, die ja keine Uniform tragen, getötet wird, können wir uns sicher sein, dass dann dementsprechend behauptet wird, die Gaddafi-Truppen töten minderjährige Zivilisten.
Ich habe den Eindruck, dass Sie jedem, der gegen die Intervention ist, automatisch unterstellen, mit Gaddafi zu sympathisieren. Eine solche Schwarz-weiß-Sicht trägt aber nicht zur Wahrheitsfindung bei. Ich würde Ihnen auch nicht unterstellen, dass, weil Sie für die Intervention sind, es gutheißen, dass Menschen in den „befreiten Gebieten“ gelyncht werden. Solche Argumente sind einfach unter der politischen Gürtellinie. Sind Sie dafür, dass in der Türkei durch die „internationale Staatengemeinschaft“ militärisch interveniert wird? Ich bin es jedenfalls nicht. Damit heiße ich aber im Umkehrschluss nicht die schweren Menschenrechtsverletzungen gegenüber der kurdischen Bevölkerung der Türkei gut, und dass Dutzende kurdischer Dörfer buchstäblich dem Erdboden gleichgemacht wurden. Die Schlussfolgerung daraus war für mich nie die Forderung, deutsche Soldaten sollten in Anatolien Menschenrechte schützen, sondern umgekehrt, die deutsche Regierung sollte alle Lieferungen von Waffen und Militärgerät an die Türkei einstellen. Gaddafi ist
lediglich ein weiterer Fall eines „von uns“ hoch gerüsteten Diktators, der in dem Moment bekämpft werden muss, wo er aufgehört hat – um in Anlehnung an Roosevelts berühmtes Zitat zu sprechen – „unserer Hurensohn“ zu sein.

Zu ihrem Kommentar:
„Es gibt wieder was Neues von Hintergrund.de, ein Artikel namens "Libyen: Radikale Islamisten und Al-Qaeda stehen im Zentrum der sogenannten Demokratiebewegung."
www.hintergrund.de/201103291467/politik/...okratiebewegung.html
Offenbar gibt es einen bemerkenswerten Meinungsumschwung in der Redaktion:
Nachdem der Hintergrund-Redakteur Sebastian Range die Freiheitskämpfer offenbar noch (siehe
Zitat oben) als Sympathisanten des pro-westlichen Königs Idris ansah, der ein „Diener westlicher Interessen war“, sieht jetzt Hintergrund.de die Gefahr eines islamischen Gottesstaates durch die Freiheitskämpfer aufziehen.
Die stärkste Fraktion innerhalb der Freiheitskämpfer solle lt. Hintergrund eine Organisation
namens „National Front for the Salvation of Libya“ (NFSL, "welche die wichtigste
Oppositionsgruppe Libyens darstellt, steht für einen extrem konservativen Islam." Hintergrund.de bedauert, „Leider erfährt man in den Massenmedien kaum etwas über die wirkliche Motivation der am Aufstand beteiligten Organisationen." und zitiert den ehemaligen CIA-Chef Tenet, der diese Organisation, NFSL, als eine kleine Extremistengruppe bezeichnete, die von al-Qaeda- Verbindungen profitiert.
Diese Behauptung von Hintergrund.de ist falsch!
Der interessierte Leser kann sich einfach über die Absichten der libyschen Übergangsregierung informieren, die in Bengasi ihren Sitz hat. Das sogenannte „Transitional National Council“ bekräftigt ihren Kampf gegen die fundamentalistischen Taliban und terroristische Al-Quaida.
"It emphasizes also its full commitment to the implementation of the relevant Security Council resolutions on Counter-Terrorism, including the resolutions on the Sanctions concerning al-Qaeda and Taliban, with the full commitment to all measures and sanctions concerning any individual or entity associated with al-Qaeda and Taliban as determined by the Sanctions Committee."
www.libyafeb17.com/2011/03/statement-of-...n-counter-terrorism/

Zum Ersten: Das Statement des TNC ist doch offensichtlich in der Absicht formuliert, auf großen Zuspruch im Westen zu stoßen, um die weitere Unterstützung der Kriegsallianz auf Seiten der Aufständischen zu gewährleisten. Als würde das irgendetwas beweisen. Infolge der kritischer werdenden Berichterstattung bezüglich der Beteiligung von Islamisten an den Kämpfen subsumiere ich diese Erklärung unter der Rubrik „öffentliche Schadensbegrenzung“. Ich verweise diesbezüglich auf folgende Interviews:
"Niemand spricht von Demokratie"
"Es gibt in Libyen garantiert keine Demokratiebewegung"
Libyan rebel commander admits his fighters have al-Qaeda links
‘Freelance jihadists’ join Libyan rebels - Ex-al Qaeda member speaks out

(Und nebenbei, wenn die LIFG jetzt behauptet, nie mit Al-Qaeda zu tun gehabt zu haben, so ist das allenfalls eine Schutzbehauptung. Vor gut drei Jahren klang das noch ganz anders:
Libysche Dschihadisten treten al-Qaida bei )
Zum Zweiten konstruieren Sie einen falschen Gegensatz: entweder sei jemand Anhänger der
Monarchie oder Anhänger eines islamischen Gottesstaates. Saudi-Arabien und andere Staaten
beweisen, dass dies kein Widerspruch sein muss. Und natürlich ist es auch kein Widerspruch, Al-Qaeda anzugehören und den Interessen der USA zu dienen, wie Sie selbst nur zu gut wissen
müssten, wenn Sie sich mit den Lügen im Zusammenhang mit dem 11. September beschäftigt
haben oder mit der in den Jahren zuvor betriebenen Kooperation zwischen Dschihadisten und „dem Westen“ in Bosnien und Kosovo.
Um das Eingangszitat aufzugreifen: die Intervention in Libyen entlarvt die Kriegsallianz als
Heuchler und die meisten Medien als willige Propagandisten eines Angriffskrieges auf ein
souveränes Land unter Vortäuschung falscher Tatsachen. Libyen ist ein weiterer Meilenstein auf dem Weg, das internationale Recht zu einem Willkürrecht des Stärkeren umzuformen. Früher
nannte man so etwas im allgemeinen „Imperialismus“. Ich nenne es nach wie vor so.
Siehe dazu auch: Völkerrecht contra Bürgerkrieg: Die Militärintervention gegen Gaddafi ist
illegitim So sehr man auch mit Aufständischen, die einen Diktator stürzen wollen, sympathisieren kann, so wenig befreit das davon zu versuchen, die Interessen aller Protagonisten objektiv zu analysieren.
Meines Erachtens hat die Mehrheit der Aufständischen vor allem das Interesse, an die Macht zu gelangen und umgekehrt wollen Gaddafi und seine Unterstützer diese behalten. Also geht es im Falle Libyens eher um einen Machtkampf, einen Bürgerkrieg als um den Kampf eines geeinten Volkes gegen einen Diktator oder um hehre Ziele. Und wer behauptet, die Kriegsallianz handele aus dem Interesse, den Arabern Demokratie, Menschenrechte, Frieden und Wohlstand zu bringen, und bereit ist, dafür Milliarden auszugeben und das Leben eigener Soldaten zu riskieren, den kann ich nicht ernst nehmen (womit nicht gesagt ist, dass Sie das behaupten würden).
Alleine der Deal zwischen den USA und Saudi-Arabien – grünes Licht der arabischen Liga für die „Flugverbotszone“, im Gegenzug grünes Licht der USA für den Einmarsch der saudischen Truppen in Bahrain – beweist die Substanzlosigkeit jedweder Menschenrechtsinterventionsrhetorik.
Wer das Völkerrecht verteidigt, verteidigt keinen Völkermord. Im Gegenteil. Denn das Völkerrecht sieht zum einen die Möglichkeit der Intervention gegenüber einem souveränen Staat in einem solchen Fall vor. Zum anderen gehen Völkermorde meisten einher mit der Missachtung der Souveränität anderer Staaten. Nur gibt es in Libyen keinen Völkermord und daher auch keinen Grund für eine Intervention. Sonst müsste auch in Dutzenden anderen Ländern interveniert werden, was auf einen Weltkrieg hinausliefe.
Ich bin mir sicher, dass die militärische Intervention einen tragischen Ausgang für das libysche Volk haben wird. Tragischer als alles, was das Land unter Gaddafi in den letzten vierzig Jahren erlebt hat.
Das Land ist gespalten und wird es auch bleiben, solange Gaddafi regiert. Alleine aus diesem Grund sehe ich nicht, dass Libyen unter Gaddafi eine annehmbare Zukunft haben kann. Es wird aber auch gespalten bleiben, wenn etwa die Aufständischen Städte wie Tripolis militärisch erobern. Denn es ist absehbar, dass es zu Rache und Vergeltung durch die Sieger an den Verlierern kommen wird.
Egal wer siegt, das Volk wird verlieren. Es sei denn, es findet baldmöglichst eine Umkehr statt und die Beteiligten versuchen den Konflikt am Verhandlungstisch zu lösen. Die NATO/UNO verfügen über das nötige Druckpotential, die verfeindeten Parteien an den Verhandlungstisch zu zwingen. Es besteht aber kein Interesse, da die Kriegsallianz Verhandlungen bereits durch die Verkündung des Einsatzziels ausgeschlossen hat, wonach Gaddafi beseitigt werden muss. Mittels Eskalation des Krieges dem Frieden zu dienen, solcherlei orwellscher Dialektik kann ich nicht folgen.
Ich zitiere diesbezüglich aus einem unserer Artikel:
„Wenn Sanktionen oder das Errichten einer Flugverbotszone damit begründet werden, der Gewalt
um der Bevölkerung willen möglichst schnell ein Ende zu setzen, ist das nichts als Heuchelei. Egal wie der Krieg verläuft oder wer ihn am Ende gewinnt, es ist vor allem die Zivilbevölkerung, die darunter zu leiden hat. In einem Krieg gibt es nur zwei Möglichkeiten, Frieden zu erreichen.
Entweder durch Verhandlungen der Konfliktparteien. Oder dadurch, dass eine der beiden Seiten
mittels Gewalt zur Kapitulation gebracht wird, was im Zweifelsfall auch deren Auslöschung
beinhalten kann.“
Eine Einigung etwa dahingehend, freie Wahlen unter internationaler Beobachtung durchzuführen,also das Volk und nicht die militärische Kampfkraft über das weitere Schicksal entscheiden zu lassen, wäre nur allzu wünschenswert. Andeutungen in den letzten Tagen in diese Richtung seitens des Gaddafi-Regimes, also die Bereitschaft, Reformen inklusive Wahlen durchzuführen, werden allesamt von der Kriegsallianz in Bausch und Bogen verworfen. Sicherlich kann man sagen, die Rede von Reformen sei nur Propaganda und nicht ernst gemeint. Herausfinden wird man dies aber nur, wenn man sie ernst nimmt! Dazu ist auch nötig, Druck auf die Opposition auszuüben, nicht länger die Kapitulation der anderen Seite als Grundbedingung für die Bereitschaft auszugeben, sich an den Verhandlungstisch zu setzen. Alle Vermittlungsvorschläge – wie die von Chavez, der Afrikanischen Union oder der Türkei – wurden sofort von der Opposition und der Kriegsallianz verworfen. Dies allein zeigt doch, dass der Schutz von Zivilisten keinerlei Priorität hat.
Zum Abschluss will ich Ihnen nur kurz auf dem Abstecher folgen, den sie gemacht haben:
Die Kosovo-Befreiung (durch Luftangriffe des Westens erzwungen) vom Kriegsverbrecher Milosevic wird ja weiter als Misserfolg dargestellt, obwohl die Menschen dort jetzt in Demokratie leben.
Die Menschen leben jetzt dort in Demokratie? Welche Menschen meinen Sie? Offenbar nicht
Serben, Juden und „Zigeuner“, denn diese mussten fast alle den Kosovo verlassen, um nicht von den demokratischen Freiheitskämpfern gelyncht zu werden. Und welche Demokratie meinen Sie? Ein Land, das von einer Bande regiert wird, die mit Drogen, Waffen, Frauen und Kindern handelt, kann niemals eine Demokratie sein.

„Fool me once, shame on you. Fool me twice, shame on me“. Mich beschleicht der Eindruck, Sie
sind wieder herein gefallen.
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Re: Kommentar zu einem Artikel bei Hintergrund.de 10 Apr 2011 19:28 #1886

Oha, bio, hat er doch geantwortet. Es wäre nett, wenn du deine Kommentare zu seiner Antwort kenntlich machen würdest.
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Re: Sebastian Range antwortete / hier veröffentlicht 12 Apr 2011 21:41 #1887

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bio1 wrote:
Der Hintergrund.de Redakteur Sebastian Range antwortete mir und bat mich, seine Antwort hier zu veröffentlichen:
..............
„Fool me once, shame on you. Fool me twice, shame on me“. Mich beschleicht der Eindruck, Sie
sind wieder herein gefallen.
Ziemlich starker Tobak diese Antwort, wenn er recht haben sollte.
Leider hat er für seine Behauptungen keine Quellen oder irgendwelche Belege angeführt.

So ist es für einen Aussenstehenden sehr schwer zu beurteilen, wer jetzt Recht hat.
Die öffentlichen Medien oder Hintergrund.de.
Die Frage ist also, auf wen man gerade "hereinfällt"

Leider geben zwei halbe Wahrheiten keine Ganze.

Was mich nur z.Z. stutzig macht, ist dass bei den ÖR kaum Reporter vor Ort sind.
Zumindest im Osten sollte ja eine freie Berichterstattung möglich sein.
Aber auch von dort hört man nichts.
Das macht mich schon sehr misstrauisch.

Gruss Moses
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Aw: Kommentar zu einem Artikel bei Hintergrund.de 13 Apr 2011 06:52 #1888

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das technische Problem war, dass Herr Range mir ein pdf.format gab. ich kopierte und fügte es hier ein. leider gab es Formatierungsprobleme, außerdem gingen alle links, die als quellenangaben dienen, verloren.

ich dachte zuerst, seine Antwort als Anlage zu posten, jedoch steht diese Möglichkeit nicht zu verfügung.

ich werde seine Antwort ausdrucken, dann ein Antwort schreiben. Ziemlich lang geworden.


@moses
Al-jazeera oder jürgen todenhöfer ist bzw. war frei in ihrer Berichterstattung vom Osten. keine ahnung, ob die grossen dt. sender dort redakteure hinsendeten, oder ob sie nur redakteure in tripolis haben, die ihr Hotel nur für Ausflüge, organisiert von Gaddafi, verlassen.

"Was mich nur z.Z. stutzig macht, ist dass bei den ÖR kaum Reporter vor Ort sind.
Zumindest im Osten sollte ja eine freie Berichterstattung möglich sein.
Aber auch von dort hört man nichts.
Das macht mich schon sehr misstrauisch."
Last Edit: 13 Apr 2011 07:09 by bio1.
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