Der Bombenanschlag im Bahnhof von Bologna

massacre_a_bolognaEs war das schlimmste Attentat in der italienischen Geschichte. Bei einer gewaltigen Explosion im Bahnhof von Bologna starben am 2. August 1980 85 Menschen, zweihundert wurden verletzt.

Damit war das Attentat von Bologna der Höhepunkt in einer langen Reihe von Morden und Bombenanschlägen, die das Land zuvor immer wieder in tiefe Verunsicherung gestürzt hatten. Zum Terror der linksextremistischen Roten Brigaden gesellte sich auf der Gegenseite jener der Neofaschisten. Doch während sich die linken Staatszerstörer am Ende als verirrter Haufen in einer ideologischen Sackgasse erwiesen, hatten die Neofaschisten offenbar Freunde in höchsten Kreisen des Staatsapparates.


(gekürzter Text eines Radiofeatures von Karl Hoffmann, gesendet am 2. August 2005 im Deutschlandradio Berlin)

Es war das schlimmste Attentat in der italienischen Geschichte. Bei einer gewaltigen Explosion im Bahnhof von Bologna starben am 2. August 1980 85 Menschen, zweihundert wurden verletzt.

Damit war das Attentat von Bologna der Höhepunkt in einer langen Reihe von Morden und Bombenanschlägen, die das Land zuvor immer wieder in tiefe Verunsicherung gestürzt hatten. Zum Terror der linksextremistischen Roten Brigaden gesellte sich auf der Gegenseite jener der Neofaschisten. Doch während sich die linken Staatszerstörer am Ende als verirrter Haufen in einer ideologischen Sackgasse erwiesen, hatten die Neofaschisten offenbar Freunde in höchsten Kreisen des Staatsapparates.

Sechs Monate nach dem Attentat wurde im D-Zug von Taranto nach Mailand beim Zwischenstopp in Bologna ein brisantes Beweisstück gefunden. Der damals beteiligte Staatsanwalt Mancuso erzählt:

„Es handelte sich um einen Koffer mit Sprengstoff, einem Maschinengewehr und falschen Bahntickets. Der Sprengstoff war identisch mit dem beim Attentat verwendeten. Und erst Jahre später stellte sich heraus, dass dieser Koffer von Männern des militärischen Geheimdienstes präpariert worden war, auf Anweisung von Generälen, die dann für diese Tat verurteilt wurden.“

Die Bologneser Justiz tappte im Dunkeln, wurde im Ausland herumgeschickt und landete bei ihren Ermittlungen regelmäßig in Sackgassen. Aber Staatsanwalt Mancuso ließ nicht locker. Schon kurz nach dem Attentat hatte ein Neofaschist geplaudert: Die Spur führte nun eindeutig in die italienische neofaschistische Szene, kurz: das Attentat war hausgemacht. Libero Mancuso stieß auf erschreckende politische Hintergründe. Der Tod von 85 Menschen war Ergebnis und Teil eines lange vorbereiteten Plans, die Demokratie in Italien abzuschaffen und durch ein autoritäres System zu ersetzen: Wie eine Spinne im Netz zog dabei ein gewisser Licio Gelli die Fäden.

Gelli war schon in jungen Jahren Faschist, diente im spanischen Bürgerkrieg bei Francos Truppen, tauchte schließlich in Italien als Vermittler zwischen Geheimdiensten auf und wurde Direktor einer Matratzenfabrik, bevor er mit beispiellosem Geschick seine politische Einflussnahme stetig vergrößerte. Noch heute kursieren Gerüchte, wonach er an Geheimdossiers über alle wichtigen Führungskräfte in Italien geraten war. Er selbst bezeichnete sich als Puppenspieler, der alle in der Hand hatte. Sein Netz war die sogenannte „Geheimloge P 2“, die Bombenleger seine schnelle Eingreiftruppe. Als man - nur wenige Monate nach der Explosion im Bahnhof von Bologna - die Liste der Logenmitglieder im Geheimarchiv von Licio Gelli fand, wurde das Ausmaß der Gefahr für die italienische Demokratie erst richtig klar:

„In dieser Liste standen die Namen aller hochrangigen Militärs, die Chefs der Geheimdienste, eine ganze Reihe von Richtern und Staatsanwälten und natürlich viele Politiker, dann Geschäftsleute. Zur gleichen Zeit fiel uns der sogenannte &Mac226;Piano di Rinascità‘, der Erneuerungsplan von Gelli in die Hände, der die Verfassung des Staates ersetzen sollte. Erst hatte Licio Gelli Terrorbanden finanziert, um den Umsturz herbeizuführen, dann hat er sich ab Mitte der 70er Jahre systematisch in den Staatsapparat eingeschlichen und beherrschte weite Teile der Politik. Wer irgendeine Führungsposition einnehmen wollte, der musste Mitglied der Loge P2 sein. Oder: Wer gute Geschäfte machen wollte... Und nicht nur das: über die P2 kontrollierten die westlichen Geheimdienste unser Land. Denn die P2 hatte alle in der Hand: Politiker, Militärs und unsere Geheimdienste. Alle.“

Mitglied der P2 mit der Nummer 1816 war seit 1978 auch der damalige Bauunternehmer Silvio Berlusconi. Bis 1981, als die Loge aufflog, das war ein Dreivierteljahr nach dem Bombenattentat von Bologna.

Trotz zähen Widerstands von Politikern und Militärs sowie massiver Ablenkungsmanöver seitens der Geheimdienste gelang es den Untersuchungsrichtern in Bologna, sechseinhalb Jahre später, am 19.Januar 1987, endlich den Prozess gegen 20 Angeklagte zu eröffnen. Als Bombenleger werden Francesca Mambro und Giusva Fioravanti zu lebenslanger Haft verurteilt - aber erst am 23. November 1995 und nach insgesamt vier Gerichts-Instanzen. Über fünfzehn Jahre hatten seit dem Mordanschlag ins Land gehen müssen.

Den Drahtzieher Licio Gelli bekommt die Justiz nicht zu fassen. Er wird zwar wegen subversiver Tätigkeit zu 10 Jahren Gefängnis verurteilt, flieht aber rechtzeitig in die Schweiz. Von dort wird er geraume Zeit später zwar ausgeliefert, aber nur unter der Bedingung, dass er nicht mehr wegen seiner Mitschuld am Bombenattentat von Bologna belangt wird. Für die Schweizer Behörden hatte es sich um einen politischen Prozess gehandelt und eidgenössisches Gesetz verbietet in solchen Fällen eine Abschiebung. Ob da allerdings nur nach Recht und Gesetz geurteilt wurde, darf man zumindest bezweifeln. Gelli hat nach der Aufsehen erregenden Pleite der Ambrosiano Bank Anfang der 80er Jahre schätzungsweise 100 Mio. Dollar auf Schweizer Bankkonten geschafft, mit denen er sich gewisse Privilegien gesichert haben könnte.

Paolo Bollini, der als junger Journalist die schlimmsten Tage seiner Heimatstadt Bologna erlebt hatte, wechselte später seinen Beruf und wurde Geschichtslehrer am Gymnasium. Er schrieb über das Attentat ein kleines Büchlein für seine Schüler, das heute längst vergriffen ist. Dort stellt er auch die Frage, warum das Nachkriegsitalien als einziges Land in Europa immer wieder dramatische Momente erlebte, Terror und Verunsicherung überstehen musste. Zwei wesentliche Ursachen sieht Bollini: zum einen den staatlich gewollten Kampf gegen den Kommunismus um jeden Preis, zum anderen die vorsätzlich nie aufgearbeitete faschistische Vergangenheit.

„Im Nachkriegsdeutschland gab es die Nürnberger Prozesse. So etwas fand bei uns nicht statt. Dabei hat es mit Sicherheit mindestens 900 italienische Kriegsverbrecher gegeben, die üble Taten begangen haben, in Afrika, in Slowenien, in Kroatien und in Italien selbst nach der Kapitulation am 8.September 1943. Deutschland ist heute ganz offensichtlich ein demokratisches Land, in dem die Regierungen wechseln. In Italien ist das nicht so. Für mich besteht ein enger Zusammenhang zwischen den nie zur Rechenschaft gezogenen italienischen Kriegsverbrechern und der Tatsache, dass in Italien die Demokratie seit einem halben Jahrhundert blockiert ist und die Macht immer nur von derselben kleinen Gruppe ausgeübt wird. Es ist erwiesen, dass sowohl die Amerikaner wie auch die Engländer kein Interesse an Kriegsverbrecherprozessen in Italien hatten. Und warum? Nun, weil sich die Alliierten diese Gruppe von Kriminellen auch mitten im künftigen Italien warm halten wollten. Und so konnten sie Jahrzehnte lang unsere Politik beeinflussen.“

Die Altfaschisten in wichtigen Positionen zu belassen - nach Bollinis Überzeugung war das die beste Möglichkeit, um die Kommunisten in Italien im Zaum zu halten. Zunächst Putschversuche, und dann Bombenanschläge, das seien ihre Methoden gewesen:

„Der sogenannten „Strategie der Spannung“ folgte schließlich die Strategie der Machtübernahme mithilfe der Massenmedien. Das erfinde ich nicht, denn das steht so im Erneuerungsprogramm von Licio Gelli, das man Anfang der 80er Jahre bei ihm beschlagnahmt hat. In diesem Pogramm, eine Anleitung zum Staatsstreich, ist das Verschwinden der Linksparteien vorgesehen, die Auflösung der Gewerkschaften, dazu der Aufbau eines privaten Fernsehsystems und gleichzeitig die Aushöhlung des staatlichen Fernsehens RAI. Alles Dinge, die entweder schon vollzogen sind oder noch vollzogen werden.“

Licio Gelli behauptete, dass sieben Minister der ersten Regierung Berlusconi in der Vergangenheit Mitglieder in seiner Loge waren. Und 1996, als Berlusconi das Programm seiner Partei Forza Italia vorlegte, bestätigte Gelli nicht ohne Genugtuung, dass Berlusconi seinen „Plan der Nationalen Erneuerung“ beinahe komplett übernommen habe. Dass nach dem Attentat von Bologna die „Strategie der Spannung“ langsam aber sicher an Zugkraft verlor, bedeutet für den Staatsanwalt Libero Mancuso allerdings noch lange nicht, dass Italiens Demokratie-Probleme völlig gelöst seien:

„Vielleicht ist Italien deshalb nicht mehr in Gefahr, weil bereits alles so gekommen ist, wie bestimmte Kreise es gewollt haben. Wir leben etwa nach Gesetzen, die für ein zivilisiertes Land entwürdigend sind. Mit Reformen, die uns weit zurückwerfen. Wir erleben eine Schwächung all jener Institutionen, die über die Verfassung wachen müssen. Das ist gefährlich für das demokratische Gleichgewicht. Überflüssig zu fragen, ob heute noch Terrorgefahr besteht. Die Dinge haben sich vollzogen, das Desaster ist bereits geschehen. Das Problem ist, wie man da wieder herauskommt.“

http://terrorwahnsinn.paul-schreyer.de/bologna.html